/ Offene Safes!
Vor der Publikation des Entwurfs eines dritten Tagebuchs von Max Frisch entbrannte im März dieses Jahres in den Feuilletons eine heftige Debatte. Adolf Muschg protestiert öffentlich gegen die Publikation in dieser Form, da Frisch selbst seine Entwürfe vernichtet habe. Frischs langjährige Sekretärin, bei der man noch eine Kopie gefunden hatte, spricht sogar von einem Vertrauensbruch: „Was da gemacht wird, ist nicht fair Max Frisch gegenüber.“ Doch nicht alleine das literarische Endprodukt ist für interessierte Leser von Bedeutung, sondern auch Entwicklungen im Schreib- und Denkprozess eines großen Autors. Die Person eines Weltliteraten verschwindet dabei wohl nach seinem Tod hinter dem Werk. Selbst wenn Teile davon nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren.
Kafkaeske Kontroversen
„Liebster Max“, schrieb Kafka kurz vor seinem Tod 1924 an seinen engsten Freund, Max Brod, „meine letzte Bitte: alles, was sich in meinem Nachlass an Tagebüchern, Manuskripten, Briefen, fremden und eigenen, Gezeichnetem usw. findet, restlos und ungelesen zu verbrennen (…).“ Doch Brod verbrannte nichts und veröffentlichte stattdessen Kafkas Schriften: Kafka wurde zu einer Symbolfigur der Moderne, weil er kompromisslos die Gegensätzlichkeiten des modernen Menschen beschrieb. Aber Kafka wäre nicht Kafka, wenn es nicht auch Jahrzehnte nach seinem Tod immer wieder neue, wahrlich kafkaeske Auseinandersetzungen um Teile seines Nachlasses gäbe.
Max Brod floh 1939 mit einem Teil von Kafka-Originalen vor den Nazis ins damalige Palästina. Einige Manuskripte hat er bereits 1961 nach Oxford gegeben, den Rest hat er an seine Sekretärin Ilse Ester Hoffe weitergeschenkt. Nach Brods Tod im Jahre 1968 hielt Hoffe den Nachlass Brods bis zu ihrem eigenen Tod unter Verschluss. Dann ging alles in den Besitz ihrer beiden Töchter über, die zunächst Einzelstücke versteigern ließen, nun jedoch signalisiert haben, die Dokumente Forschungseinrichtungen wie etwa dem Deutschen Literaturarchiv überlassen zu wollen. Doch das israelische Nationalarchiv – mit publizistischer Schützenhilfe von Haaretz – proklamiert nun selbst Besitzansprüche. Ein absurder Gerichtsstreit um Safeschlüssel und angeblich noch unentdeckte Kafka-Manuskripte ist im Gange. Experten glauben jedoch, dass mit großer Wahrscheinlichkeit, außer ein paar Zeichnungen, keine wirklich unbekannten Kafka-Manuskripte mehr im Safe schlummern.
Sicher ist jedoch, dass im Brod-Nachlass nicht nur Brods eigene Notizbücher aus den Jahren ab 1901 liegen, sondern auch etwa 70 Briefe von Kafkas letzter Freundin Dora Diamant an Brod. Und diese Briefe handeln auch von verschollenen Kafka-Manuskripten. Als Kafka starb, nahm Diamant angeblich 20 kleine Notizhefte an sich, die bis heute noch nicht wieder aufgetaucht sind. Der Kafka-Biograf Reiner Stach meinte dazu im Tagesspiegel: „Vermutlich würden wir genauer wissen, nach was wir zu suchen hätten, wenn wir endlich Doras Briefe an Max Brod einsehen könnten. Und das entscheidet sich in Tel Aviv.“
Für die nahe Zukunft ist auch noch mehr publizistisches Gerangel um den Nachlass von Max Frisch zu erwarten. Denn 2011 läuft die Sperrfrist für die Texte ab, die von Frisch auf 20 Jahre nach dem Tod versiegelt wurden. Am 4. April nämlich darf dann der Safe mit diesem Literaturschatz endlich geöffnet werden.
„Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“, sagte Kafka selbst; also, mehr als gemütliche Strandlektüre! Wir wünschen trotzdem einen schönen Sommer, hohe Wassertemperaturen und hoffen auf interessanten und erhellenden Inhalt von demnächst offenen Safes!
Janina Strötgen
jstroetgen@tageblatt.lu
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