Nur Mut

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(AP)

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"Ich musste beweisen, dass man ein neuartiger Schwarzer sein konnte." Mit diesem Satz resümierte Muhammad Ali seine Karriere im Gespräch mit Pulitzer-Preisträger David Remnick, der mit „King of the World“ das zweifellos beste Porträt des bedeutendsten Sportlers der Weltgeschichte schrieb.

Die Zeitenwende wurde am 25. Februar 1964 in Miami Beach eingeläutet. Obwohl Cassius Clay 1960 die Olympische Goldmedaille gewonnen hatte, ging er als krasser Außenseiter in den Kampf gegen Titelverteidiger Sonny Liston. Zu mäßig waren seine ersten Auftritte als Profiboxer gewesen, als dass auch nur ein Experte einen Pfifferling auf den wegen seines damals schon losen Mundwerks „The Louisville Lip“ genannten Clay gegeben hätte.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu (Bild: Tageblatt)

Es kam anders. Und eine Karriere, die weit über den Sport hinauswirkte, nahm ihren Anfang.

Zuvor waren die Rollen eindeutig verteilt: Von einem schwarzen Boxer wurde verlangt, dass er totale Rücksicht auf die weißen Empfindsamkeiten nahm. Und dass er sich aus den politischen Diskussionen rund um die Rassentrennung heraushielt. Ein dankbarer Krieger sollte er sein. Nicht weniger, und vor allem nicht mehr.

Unmittelbar nach dem Sensationssieg über Liston gab Clay seine Bekehrung zum Islam bekannt, und wenig später, dass er seinen alten „Sklaven-Namen“ ablege. Als Mentor stand Ali der radikale Prediger Malcolm X zur Seite. So sehr die Amerikaner (und auch der Rest der Welt) heute in fast schon verklärter Zuneigung auf Muhammad Ali blicken, umso schockierter war das Land 1964 über das Gebaren des neuen Weltmeisters aller Klassen.

Unabhängig

Und es sollte noch „besser“ werden. Ali erklärte sich unabhängig von jeder Schablone oder Erwartung. Er verweigerte den Kriegsdienst in Vietnam. Dabei wäre Ali mit ziemlicher Sicherheit nie an die Front geschickt worden, denn bei der ersten Musterung fiel er glatt durch. Die Armee stufte zudem seinen IQ mit 78 weit unter dem Durchschnittswert von 100 ein. Obwohl ein niedriger Intelligenzquotient beim Kriegspielen eher von Vorteil ist, kränkte Ali die Einstufung zutiefst.
Als er verkündete: „Ich habe keinen Ärger mit den Vietcongs“, und: „Kein Vietcong hat mich jemals Nigger genannt“, da hatte seine Rebellion eine neue Dimension erreicht. Es ging nicht mehr nur um das zuvor alles bestimmende Thema Rassismus, sondern um Widerstand gegen die Obrigkeit und die Abkehr von der absoluten Loyalität gegenüber dem Land.

Ali bezahlte teuer, an ihm wurde ein Exempel statuiert. Seine Kriegsdienstverweigerung kostete ihn Titel, Millionen von Dollar und die Sympathie eines großen Teils der amerikanischen Bevölkerung. Aber es ging ihm ums Prinzip.

Wahrscheinlich erforderten der resolute Einsatz gegen den Vietnam-Krieg und sein Kampf gegen Rassentrennung und Rassismus mehr Mut als die Ringschlachten gegen Joe Frazier und George Foreman in den 1970er-Jahren. Der „Kampf des Jahrhunderts“, der „Rumble in the Jungle“ und der „Thrilla in Manilla“ machten Ali unsterblich. Ohne den Mut außerhalb des Rings wäre er aber nie zum „The Greatest“, zum größten Sportler aller Zeiten geworden.

Zum Ende seiner Karriere bezahlte Ali noch einmal teuer. Denn wie so viele Boxer vor und nach ihm verpasste er den richtigen Zeitpunkt, aufzuhören. War Ali im Ring der erste Boxer, der die Kraft eines Schwer- mit der Schnelligkeit eines Leichtgewichts vereinte, so ist er heute wegen der Parkinson-Krankheit nicht mehr Herr seines mächtigen Körpers.

Die letzten öffentlichen Auftritte bei der Beerdigung seines einstigen Rivalen Joe Frazier oder aber zum Anlass seines 70. Geburtstags lassen nichts Gutes ahnen. Seine schwierigsten Kämpfe hat Muhammad Ali alias Cassius Clay eigenen Angaben zufolge aber eh hinter sich.

Schließlich zeigte er, wie man ein neuartiger Schwarzer wird und half damit, eine ganze Gesellschaft zu verändern. Welcher Sportler kann das schon von sich behaupten? Ali bomaye!