/ Nationale Identität?
„Was bedeutet es, Franzose zu sein?“ Diese scheinbar harmlose Frage stellt die französische Regierung seit Mitte November im ganzen Land. Anfang Februar will Eric Besson, Minister für Immigration, Integration und nationale Identität, eine Auswertung dieser Debatte vorlegen, die ihm zufolge „unsere nationale Identität festigen und die republikanischen Werte und den Stolz darauf, Franzose zu sein, stärken soll“.
Doch der Entstehungprozess und die konstituierenden Elemente einer kollektiven kulturellen Identität sind zweifellos sehr vielschichtig und überaus komplex. Wenn die politische Klasse, und insbesondere die amtierende Exekutive, dekretiert, dass sofort eine landesweite Debatte hierüber stattzufinden habe, drängen sich Fragen über die wahren Motive dieser Initiative auf. Es droht die Gefahr eines Missbrauchs dieser tiefgreifenden und möglicherweise explosiven Fragen zu tagespolitischen Zwecken.
Auch in anderen Ländern hat es Versuche gegeben, wenn auch weniger konsequent durchgeplant, Identitätselemente zum tagespolitischen Thema zu machen. Man erinnert sich an die 2000 von der CDU in Deutschland geführte Leitkulturdebatte und an den Luxemburger Fahnenstreit von 2006, ausgelöst durch den Gesetzesvorschlag des damaligen CSV-Fraktionschefs Wolter, die Trikolore durch den „Roude Léiw“ zu ersetzen.
Zumindest der Luxemburger Fahnenstreit scheint spätestens mit dem am vergangenen 23. November von Premier Juncker im Parlament hinterlegten Gesetzentwurf, der eine Gleichberechtigung beider Fahnen in Luxemburg herbeiführen soll, nun beigelegt zu sein.
Debatte als wahltaktisches Manöver
So war wohl die ganze Identitätsdebatte in Frankreich auch eher als wahltaktisches Manöver gedacht, denn die Auswertung der Debatte soll wenige Wochen vor den anstehenden Regionalwahlen stattfinden. Wie bereits 2007 mit der vom damaligen Präsidentschaftskandidaten Sarkozy angekündigten Gründung des Ministeriums für Immigration und nationale Identität sollen dem Front national das Wasser abgegraben und die Wähler abgeworben werden.
Doch dieser Schuss scheint nach hinten loszugehen. Denn schließlich ist es kein Zufall, dass der verstärkte Gebrauch des Begriffs „identité nationale“ mit dem Auftreten des Front national auf politischem Terrain in den 80er Jahren einherging. Marine Le Pen fordert nun, nach dem Minarettverbot in der Schweiz, selbiges für Frankreich. In eine Identitätsdebatte gehöre vor allem auch die Diskussion um die Verbreitung des Islam in Frankreich. Und so debattiert Frankreich nun statt über sich selbst über den Islam. Plötzlich geht es nicht mehr darum, „wer wir sind“, sondern darum, wer nicht dazugehören darf.
Und spätestens hier ist die Debatte nun bei einem populistischen Identitätsbegriff angekommen. Ein statischer Begriff der nationalen Identität, der abgrenzt und ausschließt. Die französische Identität als eine unwandelbare und permanente Identität. Dass Frankreich trotz zunehmender ethnischer und religiöser Vielfalt in einer staatlich verordneten Debatte nach nationaler Einheit sucht, ist in Wahrheit ein wahltaktisch motivierter Eiertanz um die wirklichen sozialen und kulturellen Herausforderungen und die realen Probleme der Einwanderungs- und Integrationspolitik.
Doch sogar Präsident Sarkozy scheint mittlerweile Angst zu haben, dass ihm die Debatte entgleiten könnte. In einem Le Monde-Artikel vom 9. Dezember versucht er die Schärfe aus der Diskussion zu nehmen, appelliert aber auch an „diejenigen, die in Frankreich neu ankommen“, ihre Religion in „demütiger Diskretion“ auszuüben. Wahrlich eine erstaunliche Wortwahl für den Bling-Bling- und Rolex-Präsidenten, entsprechen doch Demut und Diskretion wohl eher nicht seinem persönlichen Naturell.