/ Luxemburger Modell 2010
Die Verhandlungen gingen bis in die frühen Morgenstunden, dann war ein Kompromiss der letzten Minute gefunden worden und ein Streik konnte abgewendet werden. Was bei Villeroy&Boch noch gerade so, nach Ausschöpfung aller Mittel des Arbeitsrechts, verhindert werden konnte, könnte im kommenden Jahr eine neue Luxemburger Realität werden.
Wir gingen an dieser Stelle bereits wiederholt auf die verfahrene Lage im Krankenhaus- und Sozialbereich ein, wo langjährige Forderungen des Personals bislang auf taube Ohren stießen. Das mittelfristige Ziel eines Vertrages für die Beschäftigten von Krankenhäusern und jene von Pflegeeinrichtungen, die teilweise die gleiche Arbeit tun und dennoch unterschiedlich behandelt werden, ist dabei nur eines von vielen.
Die Frage einer kohärenten Ausbildungsreform ist offen, die Karriere des Pflegers harrt seit Jahren einer Aufwertung … Die Vorgehensweise verschiedener Mitgliedshäuser der Copas (Arbeitgeberverband der Pflegeinstitutionen) scheint dabei mehr auf Konfrontationskurs hinzudeuten als auf große Anstrengungen in Richtung sozialer Frieden.
Es sieht demnach zurzeit so aus, als ob die Kollektivverträge der beiden Bereiche Krankenhauswesen (EHL) und Pflegesektor (SAS), die immerhin die Arbeitsbedingungen von rund 20.000 Angestellten regeln, platzen könnten. Was also noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar gewesen wäre – Streiks in Luxemburger Spitälern und Seniorenheimen –, ist in unmittelbare Nähe gerückt. Ob der Tarifautonomie ist ein staatliches Gegensteuern hier nur bedingt möglich, Gesundheits- und Sozialminister Mars Di Bartolomeo hat nur beschränkte Möglichkeiten, „friedensstiftend“ zu wirken.
Härtere Gangart
In vielen anderen Branchen kriselt es ebenfalls auf sozialer Ebene. Die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern werden härter und der Verdacht liegt nahe, dass so mancher Betriebschef die Krise vorschiebt, um Nullrunden durchzusetzen, obwohl die Bilanzen durchaus noch Spielraum für eine Umverteilung ließen.
Was in Zeiten wachsender Wirtschaftszahlen in Luxemburg schon fast eine bequeme Selbstverständlichkeit und ein Argument der Konkurrenzfähigkeit war – der traditionelle soziale Frieden –, wird im kommenden Jahr wohl nur mit Anstrengung und viel gutem Willen (Staatsminister Jean-Claude Juncker nennt dies Weitblick) aufrecht erhalten werden können.
Dass die Tripartite erst einmal verlegt wurde, wohl bis die Gemüter sich beruhigen, ist ein Zeichen für diese härter Gangart; die Aussagen der Patronatsverbände, die ihre jeweiligen Analysen zum Staatshaushalt mehr oder weniger verschleiert dazu benutzten, Sozialabbau in der einen oder anderen Form zu fordern, ein anderes. Die beiden großen Gewerkschaften OGB-L und LCGB, die beide ihre Kongresse vor wenigen Wochen abhielten, ließen keinen Zweifel daran, dass dies mit ihnen nicht zu machen sei. Ein Rütteln am Index kommt nicht in Frage und ein Abbau im öffentlichen Dienst würde wohl auch eine Solidaritätswelle für die Beamten (die ja hier nur die ersten wären, denen es an die Börse geht) auslösen. Viel hängt beim Überleben des sog.
„Luxemburger Modells“ also von der Bereitschaft der Arbeitgeber ab, ihren Appetit zu zügeln, bzw. vom Staat selbst, der bei der angekündigten Gehälterreform im öffentlichen Dienst die Beispielfunktion dieses Sektors für den Rest der Wirtschaft nicht aus den Augen verlieren sollte. Wenn die wirtschaftlichen Prognosen in etwa stimmen, könnte das Modell unter diesen Voraussetzungen weiter funktionieren.