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 Symbolfoto: Pixabay

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„Die Demokratie ist die politische Form der Menschlichkeit“ (Tomas Garrigue Masaryk)

Heinrich Mann war in seiner Gedenkrede deutlich: „Die hundert Tage der Regierung Eisners haben mehr Ideen, mehr Freuden der Vernunft, mehr Belebung des Geistes gebracht als die fünfzig Jahre vorher.“ Es geht um die Zeit der Jahre 1918/1919, der Novemberrevolution in München, deren Anführer Kurt Eisner war. Er schuf die Monarchie ab und wurde – nach der Revolution in München und der Einführung der Räterepublik – der erste Ministerpräsident des Freistaats Bayern. Im Februar 1919 wurde der idealistische Sozialdemokrat, der die Träume vieler bekannter Dichter – und mit ihnen des Volkes – von direkter Demokratie und sozialer Gerechtigkeit, die urplötzlich paradiesische Wirklichkeit zu werden schienen, in die Realität umsetzen wollte, von einem jungen adligen Nationalisten erschossen. Eisner sah seine Ermordung voraus – Zitat: „… man kann mich ja nur einmal erschießen.“ Und der Trauerzug von über 100.000 Menschen verlieh ihm den Respekt, den der Journalist und Schriftsteller verdiente.

In den heuer auch hierzulande mit jungen Menschen in direktem Austausch seitens der Politik geführten Diskussionen rund um das Thema Demokratie ist die (uns eher unbekannte) Persönlichkeit Kurt Eisner jedenfalls brandaktuell. Dies besonders im Kontext seiner konkreten Ideen der direkten, partizipativen Demokratie, die er und seine Regierung glaubwürdig und engagiert anpackten. Seine diesbezügliche Aussage „Wir verstehen unter Demokratie nicht, dass alle paar Jahre alle Bürger das Wahlrecht ausüben und die Welt regieren mit neuen Ministern und neuem Parlament. Wir (…) versuchen auch, eine neue Form der Demokratie zu entwickeln. Wir wollen die ständige Mitarbeit aller Schaffenden in Stadt und Land“ war der Kern seines Regierungsprogramms: die permanente Demokratie! Und dafür waren die Räte da. Sie sollten die Inseln permanenten, demokratischen Miteinanders sein, die ihre Beschlüsse direkt an die Regierungsvertreter übermitteln sollten. Eisner wollte – in weiser Voraussicht – starke Räte, im festen Glauben daran, dass, je länger diese urdemokratische Institution erprobt, genutzt und mit Leben gefüllt würde, sie mit der Zeit umso stärker wird. Ein gewähltes Parlament sollte dabei ebenfalls parallel zu den Räten arbeiten.

Permanente Mitbestimmung aller an allem, das war der erste Punkt der Eisner’schen Regentschaft. Danach kam der Frieden, sah dieser Kurt Eisner – dessen ethische Ziele sich innerhalb der deutschen Sozialdemokratie an Marx und Kant orientierten – doch besonders die Kriegsschuld des deutschen Kaisers am Ersten Weltkrieg. Es sollte jedoch rund zwanzig Jahre später mit den Kriegsverbrechen und den Verbrechen an der Menschlichkeit der Nazis und der Wehrmacht noch schlimmer kommen …

Erinnern uns der Versuch, als Dichter tatsächlich die Macht übernahmen, und in real die kurzen Momente in der Geschichte, in denen alles möglich erschien, rund einhundert Jahre später nicht an die Debatten um direkte Demokratie, Bürgerräte und um das basisdemokratische Instrument des Referendums? Wären Eisners „Träume“ effektiver partizipativer Demokratie heute nicht ein realpolitisch wertvolles Instrument gegen Politikverdrossenheit und rechtslastigen Politopportunismus, die im Endeffekt die Demokratie ernsthaft in Gefahr bringen werden? Im Sinne eines richtungsweisenden Zitates des Konfuzius: „Erzähle es mir – und ich werde es vergessen. Zeige es mir – und ich werde mich erinnern. Lass es mich tun – und ich werde es behalten.“

Und gerade deshalb ist die heuer längst überfällige, direkte Diskussionspraxis der Politik mit der Jugend sehr, sehr wertvoll!                                                        

frabert
11. November 2022 - 10.28

Richtig, Herr Hottua! Wenn man dann noch bedenkt, wieviele Nazis auch nach dem Krieg in ihren Positionen "sitzen" blieben und darüberhinaus in höchsten Positionen (auch in den USA!) Karriere machen konnten, so muss man sich nicht wundern, dass dieses faschistische Gedankengut nachhaltig überlebt hat - mehr noch: dass es (durchaus gewollt!) Zukunft hat! Man hat in den Nürnberger Prozessen nur die "Schlimmsten" zum Galgen geschleppt - andere waren im Sinne der "Sache" (siehe Bilderberger, WEF-Klaus Schwab) sehr nützlich! Um auf Italien zurückzukommen: der fantastische . intellektuelle Linksschriftsteller Umberto ECO hat das Thema immer wieder thematisiert - siehe Gladio, Stay behind usw. in seinem Roman "Nullnummer" - absolut keine Fiktion, sondern bittere Realität. Der rechtslastige , faschistische Mist lebt weiter .... Es sieht nicht rosig aus...mitnichten!

Robert Hottua
5. November 2022 - 17.02

Ein paar Jahre nach Herrn EISNERs Ermordung durch einen Adligen putschte sich MUSSOLINI mit der Unterstützung und der Tolerierung des Vatikans an die Spitze eines faschistisch-rassistischen Staates im christlichen Europa. https://www.spiegel.de/geschichte/historiker-david-kertzer-vatikan-und-mussolini-das-versagen-der-paepste-a-1122583.html MfG Robert Hottua