Heile Welt

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Es gibt sie. Die Welt der Ökologie, der Bioprodukte, der gesetzlichen Geschwindigkeitsbegrenzung, der Sortierung des Mülls, der aufkommenden Elektroautos, der Drogenbekämpfung und der Dopingfahndung unter anderem. Wir nichtrauchenden und moderat trinkenden Gutmenschen brauchen diese parallele Welt, um in der unsrigen mit irgendwie gutem Gewissen zu leben. Die luxemburgische Familie fährt oft zwei Autos. Dies ist viel erträglicher geworden, seit wir vor kurzem den bösen Porsche Cayenne Diesel verboten haben.

Cattenom wäre am besten seit gestern geschlossen. Aber nicht unsere Kühlschränke, Tiefkühltruhen, elektrischen Garagentore, Fensterjalousien, unsere PCs und unsere iPhones. (Allein die Energieversorgung des weltweiten Netzes verlangt heute 50 Atomkraftwerke. Das Doppelte voraussehbar in 2030. Wenn 2040 alle Autos elektrisch fahren werden, kann man nur hoffen, dass Minister Schneiders Interstellarminen ertragreich sein werden und Cattenom ernsthaft überholt und repariert wurde.)

Die Pharmaindustrie lebt von den Drogen, die wir schlucken, um zu schlafen, um zwischen Aufstehen und Zubettgehen die Panikattacken zu mindern, um uns geistig und physisch für den täglichen Stress zu rüsten, um die erschlaffende Potenz wieder aufzurüsten. Dabei verbieten wir mit hysterischer Selbstgerechtigkeit den Sportlern, das Gleiche zu tun, um in ihrer spezifischen Disziplin zu glänzen.

Minister Bausch stellt blitzende Totems entlang der Straßen auf, um uns vor uns selbst zu schützen. Die Toten und Verletzten zwischen den Totems sind das Resultat von Fatalität, Unaufmerksamkeit und Inkompetenz im besten Fall, ansonsten generell die Folge von Dummheit, Respektlosigkeit, Aggressivität, Verantwortungslosigkeit und Hybris. Um effizient zu sein, müssten die Totems in 500 Meter Abständen angepflanzt sein. Dies würde aber den Schilderwald noch erheblich überladen, ein Schilderwald, der mir heute vor Augen führt, welch Zurückgebliebener unter Zurückgebliebenen ich bin.

Ich darf moderat Alkohol trinken. Keiner verbietet mir zu rauchen, doch ermahnt ein vorsorglicher Staat mich, mit Hilfe von auserlesenen farbigen Abbildungen von Geschwülsten auf dem Zigarettenpaket, das Rauchen lieber sein zu lassen, obschon er damit verdient. Andere Wohlfühldrogen wie Heroin, Ecstasy usw. werden mit sehr hohen Strafen geahndet, wobei Hannah Arendt fand, dass ein krimineller Drogensüchtiger keinen etwas angeht.

Heute ziehen erlesene Bürger scharenweise ins Kloster, um in Abgeschiedenheit und im Entzug des Webs während zwei Wochen zu meditieren. Zum Glück sind intellektuelle Wellness-Moden weniger gefährlich als die Klimaerhitzung und die unsichtbaren krebserregenden Partikel aus nur … (?) VW-Auspuffröhren.

„Wie soll ich mein kleines Kind in eine Welt einführen, die ich für verbraucht und debil ansehe“, fragt Botho Strauss.

Fünf verschiedene Portionen Gemüse und Früchte am Tag sind noch nicht haftpflichtig geworden, aber nach dem Tabubruch beim Porsche Cayenne sollten wir auf alles gefasst sein.

 

Jean Schiltz