LEITARTIKEL: Wie illegalist legal?

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Der elfjährige Junge sah sich am Obststand im Supermarkt kurz um und ließ dann den Apfel, den er in der Hand hielt, schnell in seiner Jackentasche verschwinden./ Roger Infalt

 Er hatte den Mann, der, unweit von ihm entfernt, ein Preisetikett studierte, nicht bemerkt. Er wusste ebenfalls nicht, dass die Leuchte an der Decke über ihm keine Lichtquelle war, sondern eine Überwachungskamera.
Der Junge war sich seiner Sache sicher, als er – fast ohne mit der Wimper zu zucken – am Kassentisch vorbeiging. Sekunden später wurde ihm der Weg von zwei Männern in der Uniform einer Sicherheitsfirma versperrt. Was dann folgte, war zuerst einmal das Aufnehmen der Personalien, das Aussprechen eines sofortigen Hausverbots, die Eltern des Jungen wurden in Kenntnis gesetzt usw. In diesem Fall wurde von einer polizeilichen Untersuchung abgesehen, doch in den meisten ähnlich gelagerten Fällen folgt noch der Gerichtsprozess.
„Jeder, der eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe rechnen. Fremd ist eine Sache, die nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist.“ So weit zur Rechtslage.
Als Kleinkindern wurde uns bereits eingetrichtert, dass man nicht klauen darf, dass Diebstahl eine „sehr schlimme Sache“ sei. Man hat uns darauf aufmerksam gemacht, sei es zu Hause, in der Schule oder im Verein, dass man keine fremden Gegenstände an sich nehmen darf, bevor man den Eigentümer gefragt oder darüber informiert hat.

Strategien entwickeln

Heute scheint das alles Schnee von gestern zu sein. Geklaut wird im großen Stil, ohne dass man mit Folgen zu rechnen hat. Der große Klau geschieht jeden Tag, nicht im Supermarkt, nicht an der Tankstelle, nicht in einer Bank, sondern „ganz legal“ in den heimischen vier Wänden, im Büro oder unterwegs. Der Rechner wird eingeschaltet, man klickt auf eine Suchmaschine à la Google, und schon hat man Zugriff auf privates Eigentum anderer Leute. Hier kann man ganze Bücher herunterladen, dort Musik, etwas weiter auch noch Bilder oder Filme. Ja, man hat sogar Zugang auf ganz persönliche Daten anderer Leute, die nie gefragt wurden, ob sie diese Informationen für die breite Öffentlichkeit freigeben möchten.
Diesen Artikel kann man bereits kurz nach seiner Veröffentlichung an dieser Stelle auf irgendeiner Webseite finden. Nur wenige Stunden später kann es sein, dass er auf weiteren fremden Webseiten erneut vervielfältigt wurde und unter falscher Flagge und neuen Bezeichnungen auftauchen und verwendet wird. Und dieses „Fremdverwerten“ geht so weit, dass das, was laut Gesetz „geistiges Eigentum“ des Autors ist und damit auch unter das Urheberrecht fällt, sogar unter einem anderen Namen in irgendeiner Publikation erscheint.
Unsere Gesellschaft muss im Kampf gegen diesen großen Klau sehr schnell Strategien entwickeln. Grundsteine dazu müssten in der Erziehung gelegt werden. Es darf weder zu Hause noch in der Schule so getan werden, als sei das Downloaden und das Weiterverbreiten von Texten oder Musikstücken – um nur diese Beispiele zu nennen – etwas ganz und gar Legales.
Man sollte auf die Gefahr aufmerksam machen, wie schnell man in die Falle des Internets tappen kann, das einem Illegales als Legales vorschwindelt und wie schnell man in die Fänge von Suchmaschinen gerät, die vom „ferngesteuerten“ Nutzungsprofil bis hin zum Inhalt getürkt sind und sich tagtäglich der Hehlerei schuldig machen.

rinfalt@tageblatt.lu