LEITARTIKEL: Technik vs. Sport

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Doping – ein Thema, das in Sportkreisen leider in aller Munde ist und an dem man nicht vorbeikommt. / Claude Clemens

Momentan gesellt sich ein zweites, ebenso leidiges dazu: die Technik, oder auch „Material-Doping“, wenn man so will. Zwei Sportarten kommen auch an diesem Thema nicht mehr vorbei.
Da wäre der Radsport, im Mittelpunkt des Interesses dank seines prestigeträchtigsten Rennens, der Tour de France. Was deren Verantwortliche wohl geritten haben mag, zwei Etappen ohne ständigen Funkkontakt zwischen Fahrern und Teamleitung fahren zu wollen?
Die Antwort ist ganz einfach: Pure Nostalgie war es. Die Erinnerung an richtige Wettkämpfe auf dem Drahtesel. Nicht an via „Mann im Ohr“ quasi ferngesteuerte Etappen, wie es heutzutage Usus ist. An Angriffe, ohne Rücksicht auf Verluste, um den finalen Sieg anzustreben. Wenn das an einem Tag gut ging und tags darauf der Einbruch folgte oder der Kontrahent besser war: Egal. Wenn man wieder besser drauf war, wurde es ganz einfach noch einmal versucht.
Fortschritt hin oder her: Kommt dabei Langeweile heraus – nicht mal in sieben Jahren Armstrong-Dominanz hörte man das Wort Langeweile im Zusammenhang mit der „Grande Boucle“ so oft wie letzte Woche –, ist es eher ein Rückschritt. Der technologisch hochgerüstete Radsport war dabei, Kredit zu verlieren, weil der Wettkampf auf der Strecke blieb. Am Sonntag begannen die Fahrer endlich, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Vielleicht ist ja doch noch nicht aller Tage Abend …

Wieder bei Null anfangen

Düsterer sieht es da schon bei den Schwimmern aus. Stichwort: Ganzkörper-Anzug. „Material-Doping“ im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man bedenkt, dass ein Anzug gegenüber einem anderen Sekunden-Vorteile bringen kann. Und das in einer Sportart, wo mit Zehntel- und Hundertstel-Sekunden, wenn es sein muss sogar in Tausendsteln, gemessen wird.
Hier ist technologisch hochgerüstet fast schon eine Untertreibung, teilweise war die NASA – gibt es im Weltraum Wasser? – an Entwicklungen beteiligt. Ergebnis: Wahnsinnig schnelle Weltrekorde, Europarekorde, Landesrekorde, etc. stehen in den Listen. Kehrt man in der Entwicklung zur „Schwammbox“ zurück, werden diese Rekorde Gültigkeit für die Ewigkeit haben. Einzige Möglichkeit demnach: Irgendwann wieder bei Null anfangen.
Oder es tatsächlich so belassen: Dann stehen die Rekorde eben, und der Wettkampf steht wieder im Mittelpunkt. Wer siegt, wer gewinnt das Rennen? Der wirklich Schnellste, und nicht der mit dem besten und teuersten Anzug.
Ohne solch technologisches Hochrüsten gab es in der Leichtathletik schon mal ähnliche Überlegungen, das legendäre Meeting im Zürcher Letzigrund soll als Beispiel dienen. Dort wurden in einem Jahr die „Hasen“ abgeschafft. Die Rennen sollten nicht irrsinnig schnell sein, die Läufer wie an einer Perlenschnur aufgereiht einer hinter dem anderen laufend, sondern taktisch, spannend, mit ungewissem Ausgang bis zum letzten Meter. Ergebnis: Rückgang in der Zuschauer- und Fernseh-Gunst. Konsequenz: Rückkehr zu den „Hasen“.
Erkenntnis: Fans und Medien haben auch ihren Anteil an der Entwicklung, dass ein Sieger Michael Phelps fast uninteressant ist, ein neuer Weltrekord vom gleichen Schwimmer aber umso spektakulärer.
Frage: Treibt das von der Öffentlichkeit unbedingt gewünschte „höher, schneller, weiter“ den Sport/die Sportler in eine Materialschlacht – vielleicht sogar zum Dopen? „A méditer …“

cclemens@tageblatt.lu