LEITARTIKEL: Sprachlose Politiker

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In Stein gemeißelt stehen sie in der Eingangshalle des Verwaltungsgebäudes von V&B in Mettlach: Jean-François Boch und Nicolas Villeroy. Als sie 1836 ihre beiden Keramikunternehmen zusammenschlossen, hatte das etwas mit Globalisierung zu tun./ Léon Marx

Auch wenn man das Wort damals noch nicht kannte, das Ziel der Aktion war klar: Kräfte bündeln, um sich besser auf dem Markt zu behaupten. Der Geist der Globalisierer aus dem 19. Jahrhundert war allerdings ein ganz anderer als der ihrer Nachkommen. Und Nicolas Villeroy dürfte sich im Grabe umdrehen, würde er sehen, mit welcher Verachtung sein Nachkomme Nicolas Luc Villeroy mit langjährigen, verdienten Mitarbeitern umgeht.
Vorbei die Zeiten, als V&B Vorbildcharakter hatte, eine der ersten betrieblichen Sozialkassen in Luxemburg einrichtete, seine Beschäftigten fair bezahlte und ihnen eigene Wohnungen zur Verfügung stellte.
25,95 Euro – der Preis eines Tellers. So viel Abfindung (pro gearbeiteten Monat) wollte der Traditionsbetrieb seinen Mitarbeitern zahlen. Eine Kleinigkeit legte man am Ende noch drauf, doch zu der entscheidenden Sitzung am Mittwoch in Rollingergrund erschien Nicolas Luc Villeroy gar nicht erst. Trotz formeller Zusage zwei Tage vorher. Er hatte – aus Sicht der Betroffenen – offenbar Wichtigeres zu erledigen, als Geld für überschüssiges Personal auszugeben. Wenn sich mit dem Verkauf von Porzellan schon kein Geld verdienen lässt, dann soll doch zumindest der Verkauf des Tafelsilbers, lies des Werksgeländes, die Kasse klingeln lassen.
Den Dividendenhunger der Aktionäre befriedigen: Das scheint das Einzige, worum sich moderne Chefs im 21. Jahrhundert zu kümmern haben.
Dabei würde es bei V&B auch anders gehen. Das Unternehmen ist zwar seit 1990 eine börsennotierte Aktiengesellschaft, stimmberechtigt sind aber einzig die Stammaktien, die sich allesamt im Besitz der Familien Boch und Villeroy befinden. Etwas weniger persönliche Profitgier würde den Aktienkurs zudem näher an die Realität heranführen. Der erklomm Ende September einen neuen Jahreshöchststand, wie es im Quartalsbericht heißt. Zeitgleich wurden die Geschäftszahlen immer roter. Geiz ist geil“, diese Mentalität, und das Internet, das es erlaubt, in Sekundenschnelle Preise zu vergleichen, machen aus immer mehr Verbrauchern Arbeitsplatzvernichter. Ohne dass sie sich dessen eigentlich bewusst sind. Wer „Globalisierung“ mit „immer billiger“ gleichsetzt, der müsste eigentlich wissen, dass er damit auch selbst einen Teil zu den wirtschaftlichen Problemen der Betriebe vor seiner Haustür beiträgt. Billigmilch vom Discounter, Porzellan aus China, Handys und dazugehörige Gebrauchsanleitungen aus Rumanien, Banken bei denen die Sparzinsen höher waren als bei anderen die auf Krediten … , die Liste liesse sich endlos fortsetzen.Natürlich ist der Bürger nicht der Hauptschuldige an der aktuellen Krise eine kritische Selbstanalyse könnte aber nicht schaden, bevor er sich über gierige Manager und unfähige Politiker beklagt.

Von der Krise profitieren…

Wer die Aussagen von Fedil-Präsident Robert Dennewald am vergangenen Freitag im Tageblatt liest und sich an die Aussagen von Premierminister Jean-Claude Juncker vor zwei Wochen in einem Ministerratsbriefing erinnert, der muss – leider – zu der Schlussfolgerung kommen, dass die Regierung bei der Suche nach einer Exit-Strategie aus dem laufenden, millionenteuren Konjunkturprogramm für die Wirtschaft ab dem Jahr 2011 auf der Seite des Patronats steht. Ziemlich unverhohlen sollen die Beschäftigten nach den Index-Manipulationen von 2006 mit vereinter Wortgewalt auf einen erneuten Sparkurs eingeschworen werden.
Viel Arbeit, die da auf die Gewerkschaften, allen voran die mitgliederstärkste OGB-L, zukommt. Denn V&B ist nur die Spitze des Eisbergs. Immer mehr Unternehmen sehen in der Krise eine gute Gelegenheit, die Sozialstandards nach unten zu drücken, den Arbeitsdruck zu erhöhen, den Stress zu steigern, die Arbeitsplätze zu prekarisieren, bis hin zu „Entlassungen auf Probe“. Ob solche Beschäftigten nach ihrer Wiedereinstellung besonders motiviert sind? Wohl kaum. Aber dann hat man wenigstens einen Grund, sie beim nächsten Mal „richtig“ zu entlassen. Oder sie kündigen freiwillig. Dann erspart man sich auch noch die Abfindung.
Tipps wie man sich selbst im Rahmen eines Sozialplans noch an Abfindungen für freiwilligen Abgängen vorbeimogelt, liefert übrigens V&B.Erstaunlich eigentlich, wie sprachlos die sogenannten Volksvertreter dem skandalösen Spiel der V&B-Oberen zusehen. Ein einziger, linker Abgeordneter befand es im Kammerplenum für notwendig, die Regierung zu dem Thema zu befragen. Und einem Parlamentspräsidenten, der bei Sessionsbeginn vor vier Wochen noch etwas von einem „offenen Ohr für die Belange der Bürger“ gefaselt hatte, wäre es beinahe sogar gelungen, mit prozeduralen Tricks zu verhindern, dass ein Regierungsmitglied live und vor den Kameras von Chamber-TV darauf antworten muss …

lmarx@tageblatt.lu