LEITARTIKEL : Große und kleine Brüder

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Welche Steigerung der Sicherheitsmaßnahmen ist eigentlich beim nächsten Attentat auf ein Flugzeug zu erwarten?/ Sascha Bremer

Nach den mittlerweile von vielen als banal empfundenen und dennoch schikanösen Flüssigkeitskontrollen an den Flughäfen und den jetzigen Diskussionen um die Einführung der sogenannten Nacktscanner dürfte die nächste logische Verschärfung folgendermaßen aussehen: Um ihrer Sicherheit willen wird man die Fluggäste in Zukunft nur noch geknebelt und gefesselt, betäubt und nebeneinander liegend durch die Lüfte transportieren können.
Klar, eine Zuspitzung. Wer allerdings hätte vor zehn Jahren die derzeit herrschenden Sicherheitskontrollen für möglich gehalten?
Schuld daran ist der von der US-Regierung und ihren Alliierten – also von uns – geführte „war on terror“ nach den Anschlägen von „nine eleven“. Zur Terrorbekämpfung wurde nach „nine eleven“ eine doppelte Strategie gefahren. Auf der einen Seite wurden die klassischen nachrichtendienstlichen Tätigkeiten ausgebaut. Im Groben geht es dabei um die Infiltrierung von potenziell gefährlichen Gruppen zwecks Informationsbeschaffung und Vereitelung von Anschlägen. Auch wenn diese Aktionen qua ihrer Natur bis jetzt nicht publik wurden, so gilt dennoch als sicher, dass die allermeisten Erfolge in der Terrorismusbekämpfung auf die Kappe dieser klassischen Spionagearbeit gehen.
Der Preis, der hierfür allzu oft gezahlt wurde, stellte die Bush-Regierung vor keine moralischen Bedenken. Er trug den Namen „Legalisierung der Tortur“.

Der gläserne Bürger

Auf der anderen Seite wurde aber auch ein Programm zur quasi mechanischen Sammlung von Informationen eingeführt, auf Bürgerebene. Unter der Führung der US-Regierung ging man von Folgendem aus: Je mehr Daten die Behörden über die Bürger haben, desto einfacher wird die Terroristen-Bekämpfung. Eine äußerst zweifelhafte Gedankenkonstruktion, die uns seit einem Jahrzehnt immer wieder als Gewissheit präsentiert wird.
Jedes Mal, wenn ein Attentat auf ein Flugzeug durchgeführt oder vereitelt wird, fällt die Hemmschwelle mancher Politiker, die Sicherheitsschraube weiter anzuziehen.
Man denke nur an den USA Patriot Act im Zuge von „nine eleven“, den großen Lauschangriff auf den Telefon- und E-Mail-Verkehr, die strengen Kontrollen auf den Flughäfen. Direkte Konsequenzen dieses Gesetzespakets sind auch die Übertragung von persönlichen Informationen jedes Flugreisenden vor seiner Einreise in die USA und der damit verbundene biometrische Pass. Nach dem vereitelten Attentat durch den „Schuhbomber“ Richard Reid wurden die Bestimmungen zum Transport von Flüssigkeiten im Flugverkehr eingeführt.
Schon damals kam die Diskussion über Nacktscanner auf. Nun ist sie wieder in aller Munde. Der Flughafen Amsterdam dürfte in Kürze 75 solcher Scanner in Betrieb haben.
Bis dato bleibt man uns den Beweis schuldig, inwiefern diese Maßnahmen oder ähnliche – wie der Zugriff der US-Regierung auf Swift – überhaupt erfolgreich waren.
Einmal davon abgesehen, ob es sich hier vonseiten der Politik lediglich um blinden Aktionismus handelt, oder ob das Ganze Methode hat – der Ausbau der Bürger-Überwachung scheint jedenfalls auch in diesem Jahrzehnt munter weiterzugehen.
Wie viele Freiheiten sind wir eigentlich noch bereit zu opfern, nur um einem subjektiven Sicherheitsgefühl – im Flugverkehr oder sonst wo – nachzulaufen? Traurigerweise bedarf es nicht einmal eines großen Bruders, um die Beschneidung der Freiheiten weiterzuführen. In Zeiten von Reality-TV, der Ausbreitung des Privatlebens durch das Internet, eines allgemeinen Voyeurismus, wo jeder zum kleinen Bruder werden kann, stellt sich nämlich die Frage, ob wir, die Bürger, mit dem Begriff der Freiheit überhaupt noch etwas anfangen können.

sbremer@tageblatt.lu