LEITARTIKEL: Der Bologna-Betrug?

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Bologna – der Name steht schon seit längerem nicht mehr nur für eine norditalienische Stadt oder die von dort stammende Nudelsoße. / Tom Wenandy

Wer heutzutage „Bologna“ hört, denkt zumeist auch an den gleichnamigen Prozess, also an jene 1999 in der Hauptstadt der Region Emilia-Romagna von 29 europäischen Bildungsministern unterzeichnete Erklärung, die vorsieht, bis zum Jahr 2010 ein einheitliches europäisches Hochschulsystem zu schaffen.
Die sich daraus ergebende Umstellung auf die Studiengänge „à la bolognese“ sprich die Einführung eines zweistufigen Systems bestehend aus Bachelor- und Masterstudiengängen erfolgt(e) in den verschiedenen Ländern – entsprechend dem jeweils ursprünglichen Studienmodell – mit mehr oder weniger Schwierigkeiten. In keinem der mittlerweile 45 Bologna-Staaten aber fielen bislang die Reaktionen auf die angesprochene Reform derart heftig aus wie in Deutschland: Beim Bildungsstreik Mitte Juni, aber auch bei den aktuellen, seit Wochen andauernden Studentenprotesten an den deutschen Hochschulen spielt neben den Studiengebühren und den allgemeinen Lehr- und Lernbedingungen die Bologna-Reform die Hauptrolle schlechthin. Die diesbezüglichen Kritikpunkte der Studierenden gehen von „zu schulisch“, „zu starr“ über „zu hohe Arbeitsbelastung“ bis hin zu „mangelnder Durchlässigkeit“ zwischen dem prinzipiell praktischer ausgerichteten Bachelor und dem theoretischeren Master.
Dass es dabei um weit mehr als nur um bloße anfängliche, organisatorische – sprich „handwerkliche“ – oder sogar noch inhaltliche Probleme geht, davon zeugt die Tatsache, dass die Studenten in den allermeisten Fällen in ihren Positionen von den Lehrkörpern bekräftigt und unterstützt werden. Hinzu kommt, dass auch die Presse zu großen Teilen mit großer Vehemenz Partei gegen die Bologna-Reform ergreift und dabei nicht davor zurückschreckt, von der Zerstörung der deutschen Universitäten zu sprechen.

Anhäufung von Wissen

Aber ist es wirklich so schlimm? Ist es wirklich so, dass die praktische Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland (und bis zu einem gewissen Punkt auch in Österreich) auf einen Schlag mit einer jahrhundertalten universitären Tradition aufräumt? Ist unter Bologna der „Bummelstudent“, wie er in der aktuellen Ausgabe der Zeit unter dem vielsagenden Titel „Nieder mit Bologna!“ bezeichnet wird, also der nicht faule, sondern der offene, der intellektuell experimentierfreudige und nicht zeitlich gedrängte Student wirklich passé? Verkommt mit Bologna jedes Hochschulstudium zu einer einzigen, unkritischen Anhäufung von Wissen? Wird der Student, wie Die Zeit behauptet, gar um seine Entwicklungschance betrogen?
Wir glauben nicht. Und vielleicht ist sogar genau das Gegenteil der Fall. Zumindest unter gewissen Bedingungen. Es stimmt zwar, dass im Vergleich zu dem prä-bolognesen System die neue Studienform „schulischer“ wird. Schulischer, wenn damit gemeint ist, dass die Studienpläne einheitlicher, die Zielvorgaben präziser und die entsprechenden Zeitabläufe überschaubarer sind (oder zumindest in der Theorie sein sollen). Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass man in diesem System als Student nur auf Wettbewerb gepolt und Teil einer dem „Marktradikalismus entsprungenen“ Reform wird. Bestes Beispiel hierfür ist Frankreich, ein Land, das seit geraumer Zeit bereits nach einem wie dem in Deutschland verhöhnten „schulischen“ System funktioniert. Haben die Franzosen (auch in der jüngsten Vergangenheit) deshalb vielleicht weniger große, weil freie und kritische Denker, weniger namhafte (Geistes)-Wissenschaftler hervorgebracht? Sicherlich nicht. In anderen Worten: Auch in „enger gesteckten“ Studienbedingungen können Studenten sich zu kritischen und politischen Individuen entwickeln, unter Bologna können sie sich gar noch einfacher anderen Kulturen und Horizonten öffnen. Sicherlich müssen hierzu die Studienbedingungen stimmen und das erforderliche Geld zur Verfügung stehen. Aber vor allem sind die Studenten selbst gefordert und sie müssen Eigenverantwortung und Eigeninitiative zeigen. Mehr als vielleicht vor dem „schulischen“ Bologna. So paradox das auch klingt.

twenandy@tageblatt.lu