LEITARTIKEL: Das waren Zeiten

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Das waren Zeiten, damals, im April dieses Jahres, in London. 1.100 Milliarden Dollar und als Kirsche auf dem Kuchen eine vom britischen Premierminister Gordon Brown verkündete neue Weltordnung in Sachen Finanzen, Handel und Wirtschaft. / Serge Kennerknecht

Die Herren der 20 größten Industrie- und Schwellenländer hatten nicht gekleckert, um die Welt vor den weiteren Auswirkungen der Finanzkrise zu bewahren, die sie vorauszusehen vorher erstaunlicherweise nicht einmal imstande waren oder sein wollten.
Reformen des Internationalen Währungsfonds IWF, der Weltbank und des Finanziellen Stabilitätsforums sollten schnell folgen. Nebenbei wurde den Steueroasen der Garaus gemacht, vorrangig den europäischen, nicht den chinesischen oder US-amerikanischen oder gar allen britischen. Möglich war dies, weil dieser Schritt vor allen Dingen von Frankreich, Deutschland und Großbritannien gewünscht worden war und er den USA oder China eigentlich gleichgültig war, solange sie ausgeklammert wurden. Zudem konnte Brown, Gastgeber des G20-Gipfels, im Hinterstübchen ganz nach Belieben sogar gemeinsame Absprachen der EU-Länder ignorieren und die Nicht-G20 der EU vor vollendete Tatsachen stellen. Immer noch steht die Frage im Raum, warum es ausgerechnet 12 bilaterale Informationsabkommen sind, die die sogenannten Steueroasen vorzeigen müssen um nicht auf einer ominösen OECD-Liste geführt zu werden. Wieviele Abkommen wären es gewesen, hhätten Browns Off-Shore- Oasen bis zum Gipfel nur sechs oder sieben Abkommen z.B. zustande gebracht?
Ja, das waren noch Zeiten, damals im April dieses Jahres. Einigkeit herrschte, gemeinsame Ziele gab es.
Und jetzt kommt der Folgegipfel, am 23. und 24. des Monats im amerikanischen Pittsburgh.Also nicht vor oder nach der UN-Generalversammlung, wie im April noch grosszügig angekündigt, sondern mittendrin Pittsburgh im September hat jedoch andere Vorzeichen als London im April. Wohl ist man mit Lippenbekenntnissen allerorten immer noch schnell und beschwört die weiterhin gemeinsamen Ziele. Doch umgesetzt hat man bislang nicht viel. Die Reformen der Weltbank und des IWF werden sich über die gewünschten Jahre 2010 bzw. 2011 hinauszögern. Von den anderen Brown’schen Ankündigungen einer neuen Weltordnung hört man eh nicht mehr viel.

Jetzt zeigt sich Dissens

All dies hat vor allen Dingen damit zu tun, dass die Wandlung der Krise in eine große Depression wohl gemeinsam abgewendet werden konnte, die Konjunktur sich jedoch in den verschiedenen Ländern unterschiedlich zaghaft positiv entwickelt. Und jetzt zeigt sich Dissens. Die Bonuszahlungen an Manager will Sarkozy begrenzen, Brown ist dagegen, Merkel denkt darüber nach, wird aber in Pittsburgh, drei Tage vor den deutschen Wahlen am 27. September, kaum maßgeblich dazu beitragen. Obama ist dagegen. Er befürchtet, dass Top-Manager die USA künftig meiden werden.
Dissens herrscht auch bei der Weiterführung der Stützungsmaßnahmen. Die USA und Großbritannien wollen sie weiterlaufen lassen, andere Europäer denken bereits jetzt über eine Einschränkung der Hilfen nach.
Dissens ebenso auf Handelsniveau. Entgegen der großen Londoner Eintracht, den Welthandel zu fördern, macht sich latenter Protektionismus breit. US-Zölle auf chinesischen Reifen, mögliche chinesische auf amerikanischen Hühnchen, sind Beispiele dieser Tage.
Es geht dabei natürlich um Arbeitsplätze, die entgegen Vorwahl-Beteuerungen in diversen Ländern durchaus nach wie vor gefährdet sind, liest man den letzten Brief von Merkel, Sarkozy und Brown an die EU-Präsidentschaft vom 3. September. Die Krise sei nicht vorbei, die negativen Konsequenzen für die Jobs kämen in den nächsten Monaten, heißt es dort. Und die drei müssten es ja wissen, auch wenn sie es öffentlich anders darstellen.
Und dann gibt es noch eine andere Art Dissens. Der kommt von der Bankerszene. Die verstehen aber nun wirklich partout nicht, dass man jetzt, wo die Krise für sie fast gelöst ist, neue zusätzliche Beschränkungen einführen möchte. Die riesigen Löcher, die ihre Rettung in die Staatshaushalte und die Sozialsysteme gerissen hat, die unter dem sich weiter ankündigenden Jobabbau noch mehr leiden werden, werden ignoriert.
Da lobt man sich einen Politiker wie den Präsidenten der belgischen Sozialisten, Elio Di Rupo. Er hat gestern vorgeschlagen, die Banken sollten verpflichtet werden, höhere Reserven anzulegen und als Verursacher eine Art Versicherungsprämie für Krisenfälle an den Staat zu zahlen, um die öffentlichen Haushalte zu unterstützen.
Es könne nicht sein, so Di Rupo, dass der belgische Staat nur über knappe 50 Milliarden verfüge und die belgischen Banken über 1.250 Milliarden. Hätte man sie nämlich nicht mit Staatsmitteln auf dem Buckel der kleinen Leute gerettet, wären sie pleite. Recht hat er.
Ob es in anderen Ländern viel anders ist?

skennerknecht@tageblatt.lu