LEITARTIKEL: Blood, Sweat and Lies

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Diese Woche also hat Tony Blair geruht, der Menschheit seine Memoiren zu schenken. Executive summary: All die vielen Toten im Irak tun ihm ja so schrecklich leid, aber es hat leider nun mal sein müssen. Oder wie es Baroness Thatcher formuliert hätte: There was no alternative.

Nun besteht der tiefere Sinn schlechter Memoiren in der Regel ja darin, der Geschichte ihren Stempel bzw. ihren „Spin“ aufzuzwingen. Und Der-Mann-mit-der-Grinsefratze ist ja nun ein Bilderbuchbeispiel für jene Sorte Mächtigen, die – eingedenk der Tatsache, dass in der Politik der Schein oft um Welten wichtiger als das Sein ist – das „gavage“ des Publikums mit Bullshit&Baloney zu einer höheren Kunstform entwickelt haben.
Dabei ist Blair kein schlechter Mensch: Sämtliche Einkünfte aus seinen Erinnerungen will er den Soldaten, die im Irak zu Krüppeln wurden, sowie den Familien der Gefallenen spenden. Sehr nobel fürwahr. Aber waren da nicht noch andere, die darunter gelitten haben und darunter leiden, dass der Pudel einst Seit an Seit mit seinem Herrchen George W. Bush freudig wedelnd schnurstracks in die Katastrophe marschierte? Was ist eigentlich mit den Irakern?
Blair hat schließlich nicht nur das Blut britischer Soldaten, sondern auch das – viel zahlreicher – unschuldiger Iraker an den Händen kleben.

Warnungen vorsätzlich ignoriert

Blair versucht nun so zu tun, als habe er die desaströsen Folgen des Überfalls auf den Irak keinesfalls vorausahnen können. Doch das ist wohl eine Lüge. Kurz vor seinen Erinnerungen erschien nämlich fort à propos die Taschenbuchausgabe des sehr interessanten Buches „Dangerous Games – The Uses and Misuses of History“ der renommierten kanadischen Historikerin Margaret MacMillan.
Darin beschreibt sie u.a., wie Blair vor Kriegsbeginn eine Historikerriege einbestellte – angeblich, um sich beraten zu lassen.
Die Gelehrten zeigten nun auf, dass die simplistische Weltsicht von Bush und Blair der extrem komplexen irakischen Realität nicht annähernd gerecht würde. Vor allem warnten sie ihn aber davor, dass eine Invasion zum totalen Zusammenbruch der irakischen Gesellschaft und zu allgemeinem Chaos und Gewalt führen könnte. Was dann auch prompt geschah.
Blair aber, so MacMillan, ließen diese auf solider Sachkenntnis fußenden Szenarien völlig kalt.
Er wollte – typisch Blair – ganz offensichtlich die Historiker lediglich dazu benutzen, seinem Kreuzzug vorab einen positiven Spin zu verleihen.
Als die Geschichtswissenschaftler sich weigerten, Ihrer Tonytät auf diese Weise die vorauseilende Absolution zu erteilen, verlor er zackoflex jegliches Interesse an ihnen. „Aber dieser Saddam, der ist doch aber ein einzigartig übler Mensch, isn’t he?“ Wesentlich mehr fiel ihm zu den Ermahnungen der Professoren nicht ein.
Kein Politiker, der über Krieg und Frieden zu entscheiden hat, verfügt jemals über den totalen Durchblick. Nachher ist man bekanntlich immer klüger. Doch Blair hat sich der vorsätzlichen Blindheit schuldig gemacht. Er wollte, koste es, was es wolle, als der wiedergeborene Churchill (genau wie Blair ja nun ebenfalls alles andere als ein Sozialist) in die Geschichtsbücher eingehen.
Doch die Blood, Sweat and Tears wurden in Blairs Geschichte nicht wie 40-45 im Dienste des Triumphes von Gut über Böse erbracht. Vielmehr mussten – vom Baby bis zum Greis – Hunderttausende unschuldige Iraker sie durchleiden, als Opfer der kriminellen Eitelkeit und Borniertheit zweier Führer der „freien“ Welt, George W. Bush und Tony Blair.

Francis Wagner
fwagner@tageblatt.lu