Leben und Nicht-Leben

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In vitro – mit diesem lateinischen Begriff, der so viel wie „im Glas“ bedeutet, bezeichnen Molekularbiologen Experimente mit Bestandteilen von menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Zellen. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Abschnitte der Erbsubstanz DNS (Desoxyribonukleinsäure) oder um Proteine, Eiweiße. Werden die Experimente allerdings unter Anwendung von Zell- oder Gewebekulturen, also mittels...

Tom Wenandy
twenandy@tageblatt.lu

Zellbiologen und Pharmakologen hingegen bezeichnen letztgenannte Verfahren wiederum als in vitro. Die Begründung: Diese Experimente, auch wenn sie auf „ganzen“ Zellen und nicht nur deren Bestandteilen ausgeführt werden, finden nach wie vor in einer Kulturflasche oder im Reagenzglas statt. Von in vivo sprechen Zellbiologen und Pharmakologen lediglich dann, wenn sich eine Methode bzw. ein Experiment auf den gesamten Organismus bezieht. Wenn also zum Beispiel eine gewisse Substanz am Menschen oder am Tier auf ihre Wirkungsweise hin überprüft wird. Zwar handelt es sich bei diesem konkreten Beispiel nur um eine (harmlose) Frage der Terminologie, doch zeigt dieses auf anschauliche Weise, dass die Grenze zwischen Leben und Nicht-Leben nicht einfach zu ziehen ist. Und dass auch Wissenschaftler sich in diesem Punkt nicht einig sind.

Wo Leben beginnt, ist im eigentlichen Sinn ohnehin keine wissenschaftliche, sondern vielmehr eine ethisch-philosophische und letzten Endes eine gesellschaftliche sowie politische, weil rechtliche Frage.

Dass diese Frage in Luxemburg nur unzureichend beantwortet ist, davon zeugt der jüngste Prozess um einen Autounfall, bei dem eine im siebten Monat schwangere Frau ihr ungeborenes Kind verloren hat. Das Gericht sowie das anschließend mit dem Dossier befasste Berufungsgericht haben dabei entsprechend der geltenden Gesetzeslage entschieden, dass es sich bei dem Ungeborenen nicht um eine „personnalité juridique“ handele. Kurzum: Der sieben Monat alte Fötus ist kein Leben, sondern eine Sache. Wäre das Kind zum Zeitpunkt des Unfalls aber bereits auf der Welt gewesen, wäre es als „vollwertiger“ Mensch angesehen worden.

Moral und Recht

Zuletzt hat am vergangenen Montag gegenüber RTL der Anwalt der Betroffenen, Maître Gaston Vogel, auf diese vielleicht nicht unbedingt rechtliche, denn aber moralische Inkohärenz hingewiesen. Dass im Luxemburger Recht mit zweierlei Maß gemessen wird – Gaston Vogel ist zu Recht über diesen Umstand empört –, zeigt sich aber auch im Vergleich zum geltenden Abtreibungsgesetz: Während in dem beschriebenen Fall ein sieben Monate alter Fötus nicht als „Leben“ gilt, wird mit dem (derzeit noch geltenden) Abtreibungsgesetz jede Schwangerschaftsunterbrechung – auch im frühesten Stadium – mit dem Argument, das beginnende Leben schützen zu wollen, strafrechtlich verfolgt. Ein Widerspruch, den es in dieser Form nicht geben dürfte.

Abhilfe könnte in diesem Fall der Gesetzgeber sprich die Politik schaffen. Tut sie aber nicht. Denn sobald es hierzulande um die zugegebenermaßen schwierige Frage des entstehenden Lebens geht, stecken die „Volksvertreter“ den Kopf in den Sand. Dabei stellt sich die Frage weit über die oben beschriebenen Problematiken hinaus. Die Frage der Grenzen zwischen Leben und Nicht-Leben stellt sich auch im Bereich der Forschung (embryonale und Stammzellen-Forschung) und/oder im Bereich der Medizin (künstliche Befruchtung, Organtransplantationen).

Nichtsdestotrotz wird die nötige (öffentliche) Debatte über Leben und Nicht-Leben in Luxemburg, wenn überhaupt, nur sehr schleppend geführt. Warum das so ist, bleibt spekulativ. Liegt es an der Komplexität des Themas und der damit verbundenen erforderlichen, auch intellektuellen Anstrengung?

Oder aber haben sich die vermeintlich linken (humanistischen?) Kräfte im Land den christlich-konservativen Kreisen endgültig geschlagen gegeben? Wir wissen es nicht.