Krieg der Welten

Krieg der Welten
(AFP)

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von Sascha Bremer - Es tobt seit Jahren ein Krieg zwischen zwei Welten, und die wenigsten merken es!

Auf der einen Seite befindet sich die alte, „reale“ Welt mit ihren historisch gewachsenen Kräfteverhältnissen, ihren Sitten und Bräuchen, ihren Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Man weiß – à peu près – welche Akteure hier was bestimmen. Zwischen diesen Akteuren – den Staaten, den militärischen oder ökonomischen Bündnissen, den Konzernen, den Religionen, und sogar die Bürger treten manchmal auf den Plan – herrscht ein beständiger Kampf um die Machtaufteilung. Um die Kontrolle des einen über den anderen. Um das Herrschaftssystem.

Sascha Bremer sbremer@tageblatt.lu

Spätestens seit den epochalen Erfindungen des Marketings und der Propaganda im 20. Jahrhundert (dem ideologischen) wissen wir, dass in diesem Spiel der Kontrolle über die „hearts and minds“ der Menschen eine vorherrschende Rolle zukommt.

Man denke da an die Mythen des „American way of life“, des eigentlichen Exportschlagers der USA im vergangenen Jahrhundert. Coca-Cola, Blue Jeans und Rock ’n’ Roll – heute eben Hip Hop – als Triebfedern des großen Kulturprojektes der USA. Man denke an die Abwehrschlachten der französischen Kultur, der Bewegung der Menschenrechte oder der Umweltbewegung. Alles Beispiele einer modernen Form der Brot-und-Spiele-Politik, im positiven wie im negativen Sinne.

Die Gedanken mögen zwar an sich frei sein. Wenn man sie auch nicht vollständig kontrollieren kann, so bleiben sie im Prinzip zumindest aber manipulier-, also lenkbar.

Bis zum 6. August 1991, als das World Wide Web freigegeben wurde, gab es lediglich ein „Schlachtfeld“, die reale Welt. Die Erfindung der „virtuellen“ Welt verkomplizierte das Spiel um Macht und Kontrolle.

Das Cyberspace ist ein neuer, jungfräulicher, also zu erobernder „Kontinent“. Hier galt es für die Akteure des Machtspiels in den letzten 20 Jahren erst einmal, das Schlachtfeld zu besetzen. Denn die virtuelle Welt birgt eine Gefahr für die Staaten, die Konzerne und die Religionen, also die bis dato bestimmenden Spieler: Sie hat das Potenzial, die gesamte Menschheit zu vernetzen und den alten „big playern“ damit einen Großteil ihrer Macht in der realen Welt zu rauben. Sicher, man findet im Internet in erster Instanz viel Schrott. Es wird natürlich auch für kriminelle Zwecke verwendet. Doch kann das Web, die sozialen Dienste wie Facebook und Twitter, eine Vernetzung von Menschen zu Gemeinschaften begünstigen, welche dann ihre Interessen viel besser zu vertreten vermögen als zuvor. Das Ganze verstärkt sich dadurch, dass diese Prozesse nicht mehr lokal, sondern global ablaufen. Ein Bürgerrechtler aus Spanien kann sich also mit einem Dissidenten in China solidarisieren und ihn sogar durch Aktionen in seinem Heimatland unterstützen.

Was ist Freiheit, was ist Demokratie?

Es hat den Anschein, dass durchs Internet das von vielen bereits für tot gehaltene humanistische Projekt der Aufklärung wieder aufkeimen könnte. Losgetreten wurde der Krieg der Welten nicht durch die Wikileaks-Enthüllungen, diese verdeutlichen ihn nur und treiben die Kontrahenten lediglich zu verschärften Attacken gegeneinander.

Und hier liegt ein Problem. Auch wenn klar ist, dass beide Welten – sofern sie denn zu trennen sind – die Schlachtfelder dieses Krieges ausmachen, so wenig sind die Fronten klar. Und wie steht es mit der Demokratie? Auch sie wird sich, angesichts der Krise der repräsentativen Demokratie und der Möglichkeiten der virtuellen Welt, neu zu erfinden haben. Hierin liegt eine der größten Herausforderungen des vor uns liegenden Jahrhunderts.

Auf dem Spiel steht nichts Geringeres als die Freiheit, oder das, was die einzelnen Akteure dieses Konflikts – letztlich wir alle – darunter verstehen, und wie wir mit ihr umgehen wollen.