KommentarEine Koalition auf Augenhöhe

Kommentar / Eine Koalition auf Augenhöhe
 Foto: Kay Nietfeld/dpa

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„Die Ampel steht“, sagt der künftige Kanzler Olaf Scholz. Man sieht förmlich, wie der SPD-Politiker aufatmet: Der Durchbruch ist geschafft. Deutschland hat eine neue Regierung. Auf 177 Seiten sind unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ Politikziele für die nächsten vier Jahre zusammengetragen worden, in denen sich Basis und Wähler aller drei Parteien wiederfinden können.

Der Vertrag ist der durchaus gelungene Versuch, einen Neustart des Landes manifest zu machen, die Gräben zwischen den Parteien (zunächst) zuzuschütten. Es ist in der Gesamtschau nicht die befürchtete Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners geworden.

Als wichtigstes Ziel wird die Überwindung der Klimakrise genannt. Es ist das zentrale Thema der nächsten Legislaturperiode. Dieses Ziel wird unbequeme Wahrheiten hervorbringen, viele auch verprellen. Die Ampel muss dies wagen, sie wird in vier Jahren darüber Rechenschaft ablegen müssen.

Wichtig ist auch das Bekenntnis zur Schuldenbremse ab 2023. Deutschland bleibe das Land der soliden Finanzen, beteuert der künftige Kanzler. Dafür wird angesichts der Ausgabenpläne sehr viel Finanzarithmetik nötig sein. Die Details dazu sind nach wie vor offen. Zu Recht spricht der künftige Finanzminister Christian Lindner von „Demut angesichts der Herausforderungen“. Er sollte die ehrgeizigen Pläne der Ampel schnell mit Zahlen hinterlegen.

Doch: Der Stil der vergangenen Wochen war interessant und neu. 22 Arbeitsgruppen arbeiteten überwiegend geräuschlos. Zwar murrten die Grünen zwischendurch hörbar – sie fühlten sich in die Ecke gedrängt. Auch bei der FDP staute sich Unmut über die grünen Verhandlungspartner. Doch man diskutierte eisern und diskret weiter. Im Gegensatz zu den Jamaika-Verhandlungen vor vier Jahren wurde auf Augenhöhe gesprochen, heißt es übereinstimmend.

Bekämpfung von Corona ist Lackmustest

Die FDP hat für sich sehr viel herausgeholt. In erster Linie das Finanzministerium – ohne diesen Posten für seine Partei hätte der FDP-Vorsitzende Lindner sein Gesicht nicht wahren können. Doch auch die SPD kann starke Häuser für sich beanspruchen. Kanzleramt, Innen, Verteidigung in einer Hand – das ist eine breite Machtbasis. Bislang war die SPD in der Regierung sehr auf Soziales ausgerichtet. Das Portfolio jetzt kann zur Profilschärfung beitragen.

Die Grünen mussten beim Verkehr Federn lassen, haben aber das inhaltliche Kernressort übernommen: ein neu geschaffenes Wirtschafts- und Klimaministerium. Damit gehen sie in die Verantwortung beim Klimaschutz. Dieses Wagnis musste die Partei eingehen.

Das Land durch die Corona-Krise zu führen, wird zunächst allerdings die größte Aufgabe der Regierung sein. Die Lage ist ernst, sagt Scholz und kündigt die Einrichtung eines Bund-Länder-Krisenstabs an. Dabei wirkt er sehr zurückgenommen. Die Bekämpfung von Corona ist sein Lackmustest gleich zu Beginn. „Wir verpflichten uns, dem Wohle aller Bürgerinnen und Bürger zu dienen“, steht in der Präambel des Dreiervertrags. Gleich zu Beginn der Legislaturperiode geht es um Leben und Tod. Ein Krisenstab und dürre Worte allein werden nicht ausreichen.