/ Klassisches Drama?
Dazu Trommeln, Fähnchen, Kriegsbemalung, Schlachtenbummler … und tiefschürfende Diskussionen um ein neuartiges Musikinstrument.
Natürlich wäre es nun einfach, die Nase über die WM-Euphorie zu rümpfen – vor allem für eine Kulturredakteurin. Aber interessanter ist vielleicht die Frage, welche Kräfte dort – im wahrsten Sinne des Wortes – im Spiel sind?
Nach Schiller ist das Spiel eine menschliche Leistung, die allein in der Lage ist, die Ganzheitlichkeit der menschlichen Fähigkeiten hervorzubringen: Der Mensch „ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“. Ob er nun Theater oder Fußball spielt, scheint vergleichbar zu sein. „Man muss ins Theater gehen wie zu einem Sportfest“, forderte Brecht bereits 1920. Kreativität, Tempovariationen, Soloeinlagen und die Schlussoffensive sind dramaturgische Varianten – sowohl auf der Bühne als auch auf dem Rasen. Klassisches Theater legt die Grundlage für emotionale Projektionen, Identifikationspotenzial und vielleicht auch Katharsis. Wie beim Fußball, oder?
Sport als letzter populärer Mythos?
Fußball als klassisches Drama und Sport als letzter populärer Mythos? Ein klassisches Beispiel ist die WM 1954: Für Nachkriegs-Deutschland wurde das „Wunder von Bern“ zur kollektiven Ersatzbefriedigung. Der überraschende Erfolg der deutschen Mannschaft wurde alsbald verklärt und mythologisiert. Gleichzeitig spiegelten die von Nationaltrainer Herberger angeführten „deutschen Tugenden“ auch die Leistungsethik der jungen BRD wider.
Gegenbeispiel England: „We won the war, but we lost the peace.“ Das wirtschaftlich gebeutelte England muss bis 1966 auf seinen Triumph bei der WM im eigenen Land warten. Seitdem singen die englischen Fans: „One world cup and two world wars“.
Danach jedoch: „30 years of hurt“, wie es im Lied zur EM 1996 hieß; aber auch 1996 scheiterten die Engländer – wie schon 1990 in Italien – an der deutschen Mannschaft im Elfmeterschießen. Ein schwerer Schlag für das kollektive (Fußball-)Gedächtnis der Engländer, den man, wenn man die aktuellen Artikel der englischen Boulevardpresse liest, auf der Insel noch immer nicht überwunden hat.
Oder Frankreich, Weltmeister 1998 als multikulturelle Mannschaft: „Black, blanc, beur“ versinkt heute in der großen Krise des Sarkozy-Individualismus. Und dem Zusammengehörigkeitsgefühl unserer belgischen Nachbarn hätte kurzfristig wohl nur eine WM-Teilnahme geholfen.
Dass aus dem internationalen Wettkampf ein nationales Drama wird, liegt vor allem an der medialen Inszenierung. Denn erzählt werden muss nicht in erster Linie das Spielgeschehen selbst, sondern das, was es zum Drama erhebt: Dass der Torhüter in einer persönlichen Krise steckt, dass der Trainer im Falle einer Niederlage gefeuert wird oder dass der Verteidiger seine letzte Saison spielt.In der Berichterstattung geht es um die Bedeutungserhöhung des sportlichen Ereignisses, die Glorifizierung von Einzelpersonen sowie ums Vermitteln eines nationalen Narrativs.
So werden der Mythos unendlich weitergesponnen und der passive Fernsehzuschauer eingelullt. Denn letztendlich zählen nur Sieg oder Niederlage. Ein Fußball-Fan bleibt immer Fan seiner Mannschaft: Er nimmt keine Perspektivwechsel vor. Darin liegt wohl der entscheidende Unterschied zum Theater. Spannung entsteht hier nicht durch den unbekannten Ausgang des Stückes, es geht nicht um Gewinnen und Besiegen, sondern um die Verhandlung eines vielschichtigen Konflikts. Auch Theater kann die Welt nicht verändern, aber vielleicht den Blick des Zuschauers auf die Welt.
Doch nun Schluss mit diesen Vergleichen zwischen Fußball und Theater. Schließlich kann man auch alles kaputt theoretisieren, wie wiederum Brecht bereits erkannte: „Hierher gehören leider meistens mit besonderer Unterstützung der Presse die krampfhaften Bemühungen einiger ’Kenner‘, aus dem Sport eine Art ’Kunst‘ zu machen.“
In diesem Sinne: Viel unverkrampften Spaß beim Fußball und – nach der Sommerpause und der Tour de France – hoffentlich auch wieder im Theater!
Janina Strötgen
jstroetgen@tageblatt.lu
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