Klasse(n-) Wahlkampf

Klasse(n-) Wahlkampf

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Wie erfindet sich eine Partei neu, welche stets kreuzzugartig gegen ihre Feindbilder in den politischen Kampf zog? Sie sucht sich nicht unbedingt neue Feindbilder oder wechselt ihre politische Ausrichtung.

Nein, es geht auch einfacher. Es bedarf lediglich einer neuen Verpackung, um das Produkt besser vermarkten zu können. Die verfolgten politischen Ziele bleiben dieselben.
So geschah es gestern in Großbritannien bei der Vorstellung des konservativen Manifestes für die anstehenden Parlamentswahlen am kommenden 6. Mai.

Die Tories unter David Cameron sehen sich neuerdings nicht mehr in der Rolle des heiligen Georg, der gegen den Drachen – für die britische Rechte traditionell der „böse, überteuerte und aufgeblähte“ Staat – in den Kampf zieht. Cameron fordert nicht wie einst die eiserne Maggie den schlanken Staat als sparsames und deshalb auch angeblich effizientes Instrument zur Umsetzung der politischen Zielvorgaben. Dies könnte in der Tat bedeuten, dass viele Staatsdiener ihren Job in Zeiten der Wirtschaftskrise verlieren. Eine Tatsache, die so manchen potenziellen Wähler vergrätzen könnte. Also wird die Verschlankung der Administration anders verpackt und an den Mann gebracht.

Cameron weiß natürlich, dass man Mäuse nur mit Speck fängt. Der Köder, den die Konservativen ausgelegt haben, hat denn auch einen Doppelnamen: Freiheit und Selbstbestimmung. Um was geht es? Frei nach Kennedy fordert Cameron von den Briten, sie sollen doch bitte nicht fragen, was der Staat für sie tun kann, sondern was sie für den Staat tun können.
Und was können die Briten denn für den Staat tun? Na zum Beispiel selbst bestimmen, ob sie lokale, wirtschaftlich unrentable Postämter nicht lieber gleich selbst kaufen und führen.

Das Gleiche gilt natürlich für ähnlich „unrentable“ öffentliche Einrichtungen. Die Gesellschaft, nicht der Staat, soll diese Einrichtungen führen und dabei den großen Traum der Unternehmensfreiheit leben. Natürlich nur die Teile, die über etwas Geld verfügen, zum Beispiel die Mittelschicht, also gerade die Wählerschaft, die geködert werden soll. Geködert im wahrsten Sinne des Wortes. Der Speck wird nämlich auch noch durch Steuersenkungsvorschläge versüßt. Solche Vorschläge kommen immer gut bei der Mittelschicht an (siehe Deutschland und der Wahlkampf der FDP). Die Tories posaunen dies denn auch durch alle medialen Kanäle. Die Kürzungen bei der Erbschaftssteuer, des Spitzensteuersatzes und Steuervergünstigungen für Familien hören sich auch irgendwie gut an. Doch werden dabei nur die superreichen Briten gründlich davon profitieren, wie der Journalist Johann Hari erst letzte Woche (The Independent vom 9. April) darlegte.

Die Schicht mit den nötigen Mitteln

Besonders die Haushalte mit den mittleren Einkommen sollen aber, falls es nach den Konservativen ginge, auch durch diese falschen Versprechungen geschröpft werden. Nicht etwa, um mehr soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten, sondern zu Gunsten der Besserverdienenden.

Dies ist bislang jedoch noch nicht auf der Wahlkampfbühne angekommen. Erstens weil die britische Mittelschicht, dank der Boomjahre Cool Britannias unter Blair, noch immer wähnt, sie sei der Oberschicht näher als den sozialen Verlierern auf der untersten Gesellschaftsstufe. Zweitens weil die meisten privaten Medien den Tories nahestehen und lieber Nebelkerzen gegen Premier Brown und seine Regierung zünden.

Und, last but not least, weil New Labour vor der Londoner City schon längst kapituliert hat und deren Spitzenverdiener seit Jahren umgarnt. Angesichts fehlender Industrie und mittelständischer Betriebe braucht Labour den Finanzplatz als wirtschaftlichen Motor.

Die Tories indes bleiben sich trotz neuer Verpackung also treu und wollen den Verteilungskampf von unten nach oben. Aller Voraussicht nach könnten sie ihn auch dank ihres klasse(n-) Wahlkampfs am 6. Mai gewinnen.

Sascha Bremer
sbremer@tageblatt.lu