Kaiser Augustus & das Selfie

Kaiser Augustus & das Selfie
(dpa/Archiv)

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Männer und Frauen in Grün, mit Schutzmasken und Handschuhen, die auf provisorischen Quarantänestationen arbeiten und sich um die Ebola-Infizierten kümmern.

Schreiende Mütter, verletzte Kinder, verzweifelte Väter in Gaza – Schutt, Asche, Leichentücher. Auf Eseln ins Nirgendwo reitende Jesiden im Irak. Tränen, geballte Fäuste, traurige Kinderaugen. Knapp 300 blitzblanke Lastwagen, die durch die russische Landschaft rollen. Einer hinter dem anderen, alle in friedlichem Weiß. Und ein wütender Erdogan.

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

Das sind die Bilder, die unser mediales Wochenende dominierten und unsere Wahrnehmung von den Geschehnissen auf der Welt bestimmt haben. Schon längst wird die Welt uns nicht mehr erzählt, sondern in einer mächtigen Bilderflut vorgeführt. Schließlich ist das Bild unmittelbarer als Sprache und Text, schließlich kann das Bild einen hoch komplexen Vorgang in einen einzigen permanenten Ausdruck verwandeln. Bilder sind verführerisch, sie haben eine immense Suggestivkraft. Besonders in der Politik.

Der erste, der die Macht der Bilder erkannte und sie nutzte, um seine eigene Autorität zu stärken, war jener römische Kaiser, dessen 2000. Todestag wir morgen gedenken. Der guten alten Rhetorik alle Ehre, aber Kaiser Augustus wusste, dass sein überall verbreitetes Porträt (vor allem auf Münzen und Reliefs) eine stärkere Wirkungskraft besaß als all seine Reden. Auf seine Zeitgenossen, aber auch auf die Nachwelt.

Die Fotografie: Ein Geschenk?

Spätestens in der Renaissance dann ließ sich sowieso jeder malen, der etwas auf sich hielt. Am besten in verschiedenen Lebensstadien, mit und ohne Familie, und selbstverständlich in Übergröße, für den Hauseingang. Mit der Erfindung der Fotografie vor 175 Jahren bekamen die Bildersprache und ihr Einfluss auf Politik und Gesellschaft dann eine völlig neue Dimension. Fotografie hat heute viele Gesichter: Sie gehört ins Öffentliche und ins Private, ist Dokumentation und Kunst, Journalismus und schöne Illusion. Fotos sind bewusste Inszenierungen, geplante Momentaufnahmen oder Schnappschüsse. Es gibt überflüssige und wichtige, schöne und hässliche Fotos. Überall sind Fotos.

Doch zurück zu Putin und seinen Konvois. Sollte es tatsächlich Putins alleinige Absicht gewesen sein, mit den weißen Konvois eine PR-Kampagne zu starten, dann hat er ein schlechtes Bild ausgewählt. Viel zu ambivalent. Da sind jene von früher – Putin mit nacktem Oberkörper auf einem Hengst, Putin im Tarnanzug mit Gewehr im Wald – mächtiger, männlicher, eindeutiger.
Okay, die Laster sind weiß, weiß heißt Unschuld. Aber sonst? Nichts als Fragen: Warum starten die Laster aus dem 1.000 Kilometer weit entfernten Moskau? Warum sind sie halb leer? Was haben sie mit dem ominösen Militärkonvoi zu tun? Dürfen sie nun rein in die Ukraine oder nicht? Sind Medikamente und Lebensmittel drin? Oder vielleicht doch ein trojanisches Pferd?
Das Beispiel der weißen Lkws zeigt, dass auch Pressefotografie niemals nur Realität abbildet, dass Bilder eine Eigendynamik entwickeln können und ihre Suggestivkraft unkontrollierbar werden kann. Fotos illustrieren nicht, sie geben das, was sie darstellen, eigenständig wieder. Bilder entstehen aus einem bestimmten Blickwinkel, sind subjektiv, können parteiisch sein und manipulieren. Außerdem gehören sie in einen Kontext. Bildunterschriften wie „Drei Kilometer Medikamente und Nahrung für notleidende Bevölkerung“ oder „Putins Okkupation light“ lenken unsere Wahrnehmung des Bildes in gewollte Richtungen. Bilder können lügen.

Die Fotografie – ein Geschenk an die Menschheit? So nannte es der französische Staat, als er am 19. August 1839 dem Erfinder Louis Jacques Mandé Daguerre die Rechte an dem Verfahren abkaufte und es zur kostenlosen Nutzung für alle freigab.
Ja. Ein Geschenk. Doch kann es in unseren ikonografischen Zeiten nicht schaden, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, dass Bilder keine vollständige und vor allem keine eindeutige Erzählung liefern können, sondern vielmehr interpretationsbedürftige Momentaufnahmen sind. Doch da muss man dann ein bisschen denken. Mit Wörtern und mit Sprache. Viel Spaß beim nächsten Selfie.

(Janina Strötgen)