/ Israels stumme Freunde

Die israelische Reaktion auf die weltweiten Proteste? Wie gehabt: ein Bras d’honneur an den Rest der Welt. Dieser geradezu reflexartige Gebrauch des Bras d’honneur gegenüber allen Kritikern – bis hin zum US-amerikanischen Staatschef – wird für Israel zunehmend zum Ersatz für das, was jene Nationen, die sich – je nach Einzelfall mit mehr oder weniger Berechtigung – als zivilisiert betrachten, unter dem Begriff „Diplomatie“ verstehen.
Die Hybris vieler israelischer Politiker und einer offensichtlich großen Mehrheit der Bevölkerung ist inzwischen so weit gediehen, dass sie mit freudigem Eifer und religiöser Inbrunst an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Um es biblisch auszudrücken: Der Herr hat sie mit Blindheit geschlagen. Und es ist niemand da, der es vermochte, ihnen heimzuleuchten. Wobei auch und gerade von einem nicht unerheblichen Teil jener, die sich selbst quer durch die Welt als „Freunde Israels“ bezeichnen, kaum Hilfe zu erwarten ist. Weil diese sich nur allzu gern damit bescheiden, den Mächtigen in Jerusalem als Lobbyisten und als Propagandaverstärker dienen zu dürfen.
Echte Freunde warnen den Freund, der sich der Gefahr aussetzt, ins Verderben zu laufen. Die meisten „Freunde Israels“ jedoch bringen diesen Mut nicht auf. Im Gegenteil: Ihnen fällt mit deprimierender Regelmäßigkeit nichts Besseres ein, als die Objekte ihrer Zuneigung auch noch in deren verderblichem Tun zu bestärken.
Endlich offene Worte finden
Eine eindringliche Warnung vor dieser tragischen Entwicklung veröffentlicht der New Yorker Politologe und Journalismusdozent Peter Beinart in der vom 10. Juni datierten „New York Review of Books“ (den Text findet man auf www.nybooks.com). Der mit „The Failure of the American Jewish Establishment“ überschriebene Artikel befasst sich mit dem Versagen und Verstummen mehrerer bedeutender US-amerikanischer jüdischer Organisationen (AIPAC, ADL, Presidents’ Conference et al.), sobald es darauf ankommt, mit Israel Tacheles zu reden.
Es soll ja nun auf Erden Orte geben, an denen man für den Gebrauch eines Wortes wie „Establishment“ in vergleichbarem Zusammenhang riskiert, wegen „Antisemitismus“ vor den Kadi gezerrt zu werden. Allein, im Falle Beinarts verpufft die „Antisemitismus“-Keule, diese Lieblingswaffe gewisser Krypto-Zensoren, wirkungslos: Er ist nämlich selber Jude. Sie müssen sich daher mit dem Griff zum ebenso oft missbrauchten „Selbsthasser“-Hammer begnügen. Dessen Anwendung sich aber betrüblicherweise nirgendwo vor Gericht ausschlachten lässt.
Beinart schreibt u.a., dass der humane, universalistische Zionismus heute in Israel zu ersticken drohe, und dass derzeit die große Herausforderung für den liberalen amerikanischen Zionismus darin bestehe, ihn zu retten: Was damit zu beginnen habe, dass man endlich offene Worte gegenüber der gegenwärtigen israelischen Regierung finden müsse und den Blick nicht länger abwenden dürfe.
Auf der (leider stark minoritären) israelischen Linken (außerhalb der – so Beinart – „kastrierten“ Arbeitspartei) warnen immer mehr Stimmen davor, dass Israel auf dem Weg zu einem Apartheid-Staat ist, und dass die demokratischen Rechte und Werte einer steten und bisweilen schon recht weit gediehenen Erosion unterliegen.
Aber anstatt diese Dekadenz zu kritisieren, wiederholen in den USA jüdische Mainstream-Organisationen meist nur gebetsmühlenhaft die alte Kamelle von der „Einzigen Demokratie im Nahen OstenTM“. Dergestalt, so Beinart, „machen sie sich zu intellektuellen Bodyguards für israelische Führer, die genau jene liberalen Werte bedrohen, die sie selbst zu verehren vorgeben.“
Wahre Worte. Doch wie seufzte schon ein anderer vor gut 2.000 Jahren – und wohl nicht von ungefähr im Heillosen Land: „Ohren haben sie und hören nicht.“
Amen. Leider.
Francis Wagner
fwagner@tageblatt.lu
- Tageblatt Gewinnspiel vom 24.09.10: « Die Welt von Milch und Käse » mit Poster - 29. September 2010.
- Tageblatt Gewinnspiel vom 28.09.10: « Seife, Duft & Badeschaum » - 27. September 2010.
- Frau wurde leicht verletzt - 26. September 2010.