Insolvenzrecht für Staaten

Insolvenzrecht für Staaten

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Argentinien hat, volkswirtschaftlich gesehen, die letzten Jahre sicherlich nicht alles richtig gemacht. Auf die Dollar-Peso-Koppelung unter Präsident Carlos Menem Anfang der Neunziger, die die eigene Währung völlig überbewertet dastehen ließ, folgte zum Jahreswechsel 2001/2002 der Staatsbankrott.

Restlos den Garaus machten der Wirtschaft fallende Preise fürs wichtigste Exportgut, die Agrarrohstoffe. Mit allem, was dazugehört, wie Plünderungen und Toten bei Straßenschlachten sowie einem Dahinsiechen der Mittelschicht.

Armand Back aback@tageblatt.lu

Wo der Garaus herrscht und dahingesiecht wird, da sind die Geier nicht weit. In diesem Fall reden wir nicht von Federvieh, sondern von Vulture Funds, also Geierfonds – eine Bezeichnung, die die so Bezeichneten eher als Kompliment denn als Diffamierung betrachten.

Einer der prominentesten Vertreter der Branche heißt Elliott Management mit seinem Chef, dem Hedgefonds-Manager Paul Singer. Dabei ist Singer der Mann, der ein ganzes Land bekämpft und dem kaum ein Mittel zu abwegig erscheint, um zu seinem Ziel zu kommen: Er will das Geld, das er Argentinien geliehen hat, zurück. Nur lieh er dieses nicht aus Nächstenliebe. In den turbulenten Tagen kurz vor und nach der Staatskrise Anfang der Nullerjahre erwarben seine Hedgefonds argentinische Obligationen zum Spottpreis. Ausbezahlt bekommen möchte Singer aber den Nennwert dieser Staatsanleihen. Was Argentinien wiederum derart ablehnt, dass zu behaupten, das Tischtuch zwischen beiden Parteien wäre zerschnitten, ein hübscher Euphemismus ist.

Elliott, das Nicht-Schmunzel-Monster

Die Hedgefonds wiederum machten die beiden freiwilligen argentinischen Schuldenschnitte der Jahre 2005 und 2010 nicht mit. Wobei 93 Prozent der Gläubiger das Angebot Argentiniens akzeptiert und auf einen Teil ihrer Forderungen verzichtet haben. Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner folgt in ihrer Argumentation jener ihres Mannes, des verstorbenen Ex-Präsidenten Néstor Kirchner, und stellt unmissverständlich klar: Mit Geiern verhandeln wir nicht.

Auch die Gegenseite macht ihren Standpunkt seit Jahren unmissverständlich klar: Elliott Management bemühte nicht nur die Gerichte verschiedener Länder, so unter anderem in Luxemburg, um die eigenen Forderungen durchzusetzen.

Nein, hier wird mit anderen Waffen gekämpft. So ließ man vor Ghana ein Segelschulschiff der argentinischen Marine festsetzen, es wird versucht, zu pfänden, was, nach Elliott-Ansicht, alles so gepfändet werden kann: Satelliten, die Residenz des argentinischen Botschafters in Washington, die Präsidentenmaschine, argentinische Patente, das Konsulatsgebäude in Frankfurt, ja sogar das letzte Haus des argentinischen Volkshelden José de San Martin im französischem Boulogne-sur-Mer. Nicht mal vom Versuch, die Konten der argentinischen Zentralbank bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zu pfänden, sah man ab – was, wäre dies gelungen, laut Wirtschaftswissenschaftlern das internationale Finanzsystem in einen Schockzustand versetzt hätte; wohl ein Zustand, der Elliott und Konsorten neue Geschäftsmöglichkeiten quasi auf dem Silbertablett präsentiert hätte.

Gelungen ist es den Hedgefonds bislang nicht, ihre Forderungen durchzusetzen. Der Streit schwelt weiter.

Aus europäischer Sicht könnte man meinen, sich zurücklehnen und diesem bizarren Streit aus der Ferne zuschauen zu können. Doch ganz so einfach ist das nicht. Denn würde, sagen wir mal, Griechenland einen erneuten Schuldenschnitt benötigen und würden Fonds dem Elliott-Beispiel folgen, wer würde dann zum Stillen solchen Profit-Hungers herangezogen? Genau, wir alle.

Die Lösung der Problematik lässt sich leicht benennen: Die Welt braucht ein Insolvenzrecht für Staaten. Eines, das Staaten trotz einer Pleite die Möglichkeit lässt, ihre Aufgaben weiter wahrzunehmen oder endlich wieder aufzunehmen. Ein Insolvenzrecht für Staaten, das diese nicht aus ihrer Verantwortung entlässt, den Bürger aber schützt.

Im Jahr 1902 schickten das deutsche Kaiserreich und Großbritannien Kriegsschiffe gegen Venezuela los, um Schulden einzutreiben. 1907 wurden die Den Haager Konventionen um einen Beisatz ergänzt. Fortan waren kriegerische Mittel zur Schuldeintreibung untersagt. Die Zeit ist wieder reif. Nicht nur für einen neuen Passus, sondern für ein umfassendes Insolvenzrecht für Staaten. Daran muss auch und im Besonderen der EU gelegen sein. Was es auch zu einer Luxemburger Angelegenheit macht.