Im selben Boot

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(Alain Rischard/editpress)

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Demokratiedefizit könnte zum Wort des Jahres 2015 werden – des Jahres, in dem die Luxemburger aufgerufen wurden, sich für oder gegen dieses Defizit zu äußern.

Das Wort machte zuletzt bei der Podiumsdiskussion von Le Jeudi am Donnerstagabend die Runde. Mit Ausnahme des ADR-Vertreters Fernand Kartheiser teilten alle Teilnehmer die Einschätzung, die mit diesem Begriff verknüpft ist. Auch wenn CSV-Fraktionschef Claude Wiseler lieber von „Problemen“ statt von Defizit reden wollte.

Wer heute in der bisweilen aufgeheizten Referendumsdebatte von Demokratiedefizit spricht, denkt natürlich an die in Luxemburg beheimateten Nicht-Luxemburger. Sie genießen alle Rechte, die auch die Luxemburger haben, insbesondere in den sozial- und arbeitsrechtlichen Domänen. Sie dürfen aber nicht darüber mitentscheiden, wer in ihrem Namen diese Sozial- und Arbeitsrechte ändert, verbessert oder verschlechtert.

Und die Luxemburger – jene also, die wohl ihre Abgeordneten wählen dürfen, weil sie den richtigen Pass in der Tasche haben? Schöpfen sie alle das Demokratie-Potenzial voll aus? Genießen sie in vollen Zügen all jene Vorteile, die ihnen eine moderne Demokratie bietet?

Oder sollte man nicht auch bei großen Teilen von ihnen von einem klitzekleinen Demokratiedefizit reden? Nicht etwa, weil jemand ihnen etwas vorenthalten will, ihnen den Zugang zum Club verweigert, wie Serge Urbany von „déi Lénk“ es am Donnerstagabend formulierte. Sondern weil sie das Instrument Demokratie nicht beherrschen.

Wer die Rollenverteilung zwischen Regierung und Parlament nicht kennt, nicht weiß, welcher Platz der Staatsrat in unserem institutionellen Gefüge einnimmt, dem fehlt es an politischer Kultur.

Urkomisch, dass ausgerechnet die Ausländer, die den Luxemburger Pass möchten, um später auch wählen zu dürfen, Kurse in Bürgerkunde belegen müssen, während alle anderen, denen mit 18 Jahren das Wahlrecht dank ihrer Staatsangehörigkeit automatisch in den Schoß fällt, davon befreit sind. Wenn das kein Demokratiedefizit ist.

Dabei bedarf Luxemburg selbstbewusster, aufgeklärter Staatsbürger. Solcher, die aktiv an der politischen Debatte teilnehmen, nicht nur sporadisch anlässlich heißer Themen, wie des aktuellen Referendums.

Das Land braucht Staatsbürger, die sich politisch engagieren, nicht unbedingt in einer Partei, aber bei Bürgerinitiativen, nicht nur solchen, die aufgrund einer geplanten Straße oder Gewerbezone unweit des eigenen Wohnhauses entstanden, sondern solchen, die sich für eine noble Sache wie etwa Frieden im Nahen Osten oder für transparente Verhandlungen um das Freihandelsabkommen TTIP einsetzen.

Zu kompliziert? Klar. Doch wer mitreden und ernst genommen werden will, sollte zuerst nachdenken, sich informieren, verstehen lernen. Dazu muss er ein Minimum an politischer Bildung genossen haben.

Wer heute von Demokratiedefizit spricht, kann zuerst an die ausländischen Einwohner unseres Landes denken, er sollte aber die vielen anderen nicht vergessen. Demokratie ist mehr als alle fünf Jahre wählen gehen.