Hinter den Kulissen

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Wer sich ernsthaft mit Politik befasst, hat nur ein müdes Lächeln übrig für die Aufregung wegen der famosen Wikileaks. Seit Jahrtausenden sind offene und getarnte Spione im Einsatz, um Wahres und Halbwahres über die Gegenspieler und die Vasallen ihrer Herren zu sammeln. Natürlich kannten Alexander, Cäsar und Napoleon die Stärken und die Schwächen der Feinde...

Seit Jahrtausenden sind offene und getarnte Spione im Einsatz, um Wahres und Halbwahres über die Gegenspieler und die Vasallen ihrer Herren zu sammeln. Natürlich kannten Alexander, Cäsar und Napoleon die Stärken und die Schwächen der Feinde wie der Höflinge.

US-Amerika fungiert gerade (noch) als Supermacht; der Beraterkreis des Präsidenten lebt vom Auftrag, Informationen zu sichten und zu werten. Das Ziel ist: Ausdehnung, oder zumindest Konsolidierung der eroberten oder der erworbenen Einflussgebiete.

Warum sollte, z.B., das politisch führungslose EU-Europa denn aus US-Sicht anderes sein und bleiben als eine Kolonie, die bereits weitgehend trivial-kulturell (Kleidung, Essen, TV, Kino, Disco, Arbeitsweise, Sprache) integriert ist? Sind wir uns dessen überhaupt bewusst, wir, die Erben wertvollster Hoch-Kulturen?

Der Wikileaks-Blick hinter die Kulissen der Washingtoner Imperatoren wäre mehr als Voyeurismus, wenn er schliesslich, nach dem Staunen, der Schadenfreude und dem Ärger, zur logischerweise fälligen Frage führte, ob nicht andere gestaltende Kräfte sich, wie die Politik, in der Öffentlichkeit fein präsentieren, aber, hinter den Kulissen, rücksichtslos ihren Profit anstreben, koste es die Allgemeinheit, was es wolle.

Man versucht uns jetzt einzureden, die sogenannten Märkte, welche gegen den Euro spekulieren, wären Ausdruck des Willens der Sparer, die ihr Geld auf der sicheren Seite platziert haben wollen. Aber wer bestimmt die Grenze zwischen sicher und unsicher? Rating-Agenturen, die auf Banken zuarbeiten, oder Banken, die auf Rating-Agenturen hören, oder deren Experten und Consultants, die nach der unvorhergesehenen Krise nicht mehr taugen als zuvor?

Wieso sind die Medien im Banne des DAX, des FTSE, des Dow, des CAC40 und anderer, ebenfalls nur deshalb stimmungsbildender Indizes, weil sie mit positiven oder negativen Durchschnittswerten hantieren, die sich aus den Tageskursen grundverschiedener Grossunternehmen ergeben, von denen die einen sich bestens zu entwickeln scheinen und andere schlechter? – Die Betonung liegt auf dem Verb scheinen.

Wer hat dieses absurde, jeden gesunden Menschenverstand verletzende System ersonnen? Wer hat es den TV- und Rundfunk- und Zeitungs- und Webjournalisten angedreht? Machen alle den Hokuspokus mit, weil keine Zeit und keine Mittel für eigene Recherche da sind? Oder kein Interesse, weil man ja Fertiges geliefert bekommt?

Wenn es stimmt, dass die Mitglieder der EU den Banken bereits 4.589 Milliarden Euro bereitstellen mussten, um sie zu retten, als Kredite oder als Garantien, heisst das erstens, dass diese 4.589 Milliarden von Hasardeuren verspielt worden sind, und zweitens, dass diese 4.589 Milliarden den europäischen Staaten, darunter, anteilig, auch Luxemburg, für die notwendigen Investitionen und die sozialgerechte Umverteilung fehlen werden.

Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, warum die Regierungen Sozialleistungen kürzen und Steuern erhöhen. Sie nehmen das Geld dort, wo sie jetzt am leichtesten dran kommen, beim lohnabhängigen Steuerzahler.
Nicht im Griff

Den Unternehmen mit einer europäischen oder gar internationalen Visitenkarte darf man keine Mehrbelastung zumuten, heisst es, denn die würden sonst abwandern. Sagt, ganz ungeniert, Herr Frieden, beispielsweise, vor Bankern.

Er und seinesgleichen in der EU haben die Marktwirtschaft, die andere Regeln braucht als die jetzigen, strengere zum Teil, nicht im Griff.

Warum? Weil sie, eigentlich, gut damit und davon leben können, dass die Politik nicht gestaltet, sondern nur noch verwaltet.

Wikileaks aus der Wirtschafts- und Finanzwelt wären jedenfalls aufschlussreicher als die nun bekannten. Man warte sie ab.