Seither wird viel über die Absichten und die Unterschiede der verschiedenen islamistischen Parteien in der arabischen Welt philosophiert. Es wird allerdings seltener über die Gründe der Niederlage der Progressisten nachgedacht. Denn die Islamisten sind nur deshalb so stark, weil die anderen politischen Organisationen so schwach sind.
" class="infobox_img" />Michelle Cloos [email protected]
Natürlich haben die Islamisten erstmals die nötigen Mittel, um eine erfolgreiche Wahlkampagne zu finanzieren. Das Geld erhalten sie aller Wahrscheinlichkeit nach aus den Golf-Staaten. Auch profitieren sie von ihrem Image als Regimegegner. Das mag zwar stimmen, nur wird vergessen, dass nicht nur die Islamisten unterdrückt wurden. Die vom Westen unterstützten Diktatoren wie Ben Ali oder Mubarak haben die Ennahda und die Muslimbrüder zwar von der Macht ferngehalten, die säkularen Dissidenten wurden jedoch überhaupt nicht toleriert.
Die Islamisten konnten die Despoten nämlich als Popanz benutzen, als Schreckgestalt, vor der sich die westlichen Regierungen fürchteten. Eine progressistische Opposition stellte demnach eine bedeutend größere Gefahr dar. Gegen die schleichende Islamisierung der Gesellschaften während der letzten zehn Jahre haben die ehemaligen Machthaber auch nur wenig unternommen.
Nicht geeint und unerfahren
Die progressistischen Kräfte sind politisch unerfahren und schlecht beziehungsweise überhaupt nicht organisiert. Immerhin wurden die Revolutionen in Tunesien und Ägypten nicht von den Parteien gemacht, sondern von Individuen. In beiden Ländern präsentierten sich eine Vielzahl von fortschrittlichen Parteien, zahlreiche Revolutionäre traten sogar als Einzelkandidaten (teilweise auch gegeneinander) an. Diese Zersplitterung führte natürlich zu einer erheblichen Schwächung. Der Wahlboykott vieler ägyptischer Revolutionäre war sicherlich auch ein verheerender Fehler, der die Position der Religiösen bei den Wahlen gestärkt hat.
Während die Islamisten die sozialen Themen erfolgreich für sich beanspruchen konnten, haben die Modernisten dieses Ziel verfehlt. Ihnen fehlte der Kontakt zu den sozial Schwachen. Die oftmals aus der Mittelklasse stammenden Aktivisten hatten nicht genügend Gespür für die alltäglichen Probleme der armen Bevölkerungsteile. Die Islamisten hingegen pflegten den Dialog mit den benachteiligten Bevölkerungsschichten. Auch nutzen sie ihre soziale Infrastruktur und die Moscheen, um für ihre Partei zu werben und den Menschen einzureden, sie müssten für islamische Parteien stimmen, wenn sie gute Muslime sein wollen.
In Ägypten sind die Machtkämpfe noch lange nicht vorbei, doch Tunesien befindet sich bereits auf dem Weg zu einer Demokratie. In Tunesien wird die Sozialpolitik folglich die größte Herausforderung der nächsten Monate und Jahre sein. Das Versprechen von mehr sozialer Gerechtigkeit hat die Ennahda-Partei an die Macht gebracht, eine gescheiterte Sozialpolitik könnte ihr demnach das Genick brechen. Schafft sie es nicht, die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern, wird sie die nächsten Wahlen wohl verlieren. Bis dahin gilt es also, eine gut strukturierte, fortschrittliche politische Kraft aufzubauen.
De Maart
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