/ Große Worte
Große Worte, mit denen das „Théâtre national“ sein Vorwort zur neuen Saison beginnt. Theater nicht nur als „Reise zum Menschen“, sondern als Ort der Auseinandersetzung mit politisch brisanten Themen?
Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu (Bild: Tageblatt)
Zieht man nach zwei Wochen voller Pressekonferenzen zur Vorstellung der neuen Saison in unseren Theatern Bilanz und blickt man auf den aktuellen Spielplan, dann kann man durchaus den Eindruck gewinnen, unsere Theater seien am Puls der Zeit: Einen Tag nach der wichtigen UN-Rede des Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas feierte Independent Little Lies in der KuFa mit dem Stück „My name is Rachel Corrie“ Premiere (siehe Kultur in der Dienstagsausgabe des Tageblatts, Seite 15). Ein Stück, inszeniert von Anne Simon, das zeigt, wie gewaltsam, ungerecht und verzweifelt der Weg zur Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten wohl auch weiterhin sein wird. Gleichzeitig probt im „Grand Théâtre“ gerade Carole Lorang mit ihrer Truppe für das Stück „Tout le monde veut vivre“ (Premiere am 1. Oktober) des israelischen Schriftstellers Hanoch Levin, der sich mit seinen politischen und satirischen Stücken nicht immer nur Freunde gemacht hat.
Und nicht nur der Nahost-Konflikt, sondern auch der Krieg im Irak, die Korruption in Russland oder auch die Terroranschläge auf die Türme des World Trade Centers in New York werden auf unseren Luxemburger Bühnen mit den Mitteln des Theaters behandelt. Alles sehr politisch, aber auch alles sehr weit weg.
Was ist bei uns?
Sicher, der so oft geforderte Blick über den eigenen Tellerrand ist wichtig, zumal sich der Zuschauer in jeder guten Inszenierung wiederfinden kann, egal an welchem Ort und zu welcher Zeit das Stück spielt. Und dennoch drängt sich die Frage auf: „Was ist bei uns?“ Alles gut? Kein Krieg, kein Terror, keine Folter, kein Blutvergießen. Also keine politisch brisanten Themen?
Warum lassen die aktuellen Entwicklungen in Europa unsere Theaterschaffenden offensichtlich kalt? Warum finden sie nicht in Fragen zur Finanz- und Eurokrise, zu (missglückten) europäischen Identitätskonstruktionen oder auch zur Stellung des Luxemburger Finanzplatzes Stoff für ihre Bühnenbearbeitungen? Spüren sie die Tendenzen nicht, die auch zur Entgleisung unserer kleinen Welt führen könnten? Der Vertrauensverlust, die panischen Reformbemühungen, das rhetorische Feilschen, um nicht zu sagen, das Theater auf den politischen Bühnen Europas? Oder stehen sie der Ratlosigkeit unserer Zeit selbst ratlos gegenüber?
Dabei verlangt heute keiner mehr von politischem Theater, dass es politisch klare Meinungen vertritt oder gar Lösungen präsentiert. Ganz im Gegenteil. Weder politische Ideologie noch aufklärerisches Lehrtheater à la Bertolt Brecht wollen wir auf unseren Bühnen sehen. Politisches Theater heute sollte vielmehr Wirklichkeitsentwürfe präsentieren, einen Schritt vorausdenken, Strömungen aufspüren und Ideen von dem, was sein oder passieren könnte, imaginieren. Finden unsere Theaterautoren keinen Spaß und kein Interesse an Horrorszenarien, Persiflagen oder Utopien von und auf Europa?
Die Jugendtheatertruppe „Richtung 22“ stellte in ihrem letzte Woche am TNL aufgeführten Stück „Jugend ohne Job“ fest, das heutige Theater sei längst kein Ideenvorreiter mehr, sondern nur ein Wiederkäuer von ohnehin Gewusstem und nun mal genauso verstockt wie der Rest der Gesellschaft auch. Hat sie recht?
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