Genschman und Genscherismus

Genschman und Genscherismus
(Hermann J. Knippertz)

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Mehr als nur ein Diplomat

Nur wenige europäische Politiker erlangen durch ihre Errungenschaften Weltruhm: Der verstorbene Hans-Dietrich Genscher gehört zu diesem kleinen Club. Während sein politischer Ziehsohn Guido Westerwelle ähnlich wie sein Vorbild Außenminister wurde, dabei aber kläglich scheiterte, hat Genscher sich in den Geschichtsbüchern verewigt. Man kann ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, in einem Atemzug mit ebenso streitbaren, aber legendären Charakteren wie etwa Henry Kissinger nennen.

Dhiraj Sabharwal
dsabharwal@tageblatt.lu

Worin lag jedoch die Stärke Genschers und woher rührt die bis heute anhaltende Faszination für den Mann mit den viel zu großen Ohren? Die Antwort ist vergleichsweise einfach. Genscher verstand sich nie als farblosen, faden Chefdiplomaten, der irgendjemandem zuarbeitet. Er konnte eigene Akzente setzen, Dossiers vorantreiben und sie zum richtigen Zeitpunkt – trotz Gegenwind – vorlegen. Er war zudem ein Kind seiner Zeit. Die duale Weltordnung passte bestens zu Genschers politischem Wesen: Man hat größte Mühe, sich „Genschman“ in der heutigen Weltordnung vorzustellen. Demnach war der Genscherismus – diese Mischung aus aalglatter Diplomatie und frechem, abfälligem Ton – das richtige Rezept, um die deutsche Entspannungspolitik voranzutreiben. Nicht weniger wichtig war Genschers Einschätzung, dass kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland benötigt werde.