Gefärbte Bärte

Gefärbte Bärte
(dpa-Archiv)

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Die Bilder vom 11. September 2001 haben sich in unsere Köpfe eingebrannt. Jeder weiß, wo er gerade war, als er diese Bilder zum ersten Mal sah.

Denn in der Erinnerung bleiben nicht die anschließenden Analysen und klugen Kommentare, sondern vor allem die pure Gewalt der Bilder von den einstürzenden Twin Towers.
Bildern gelingt es, hoch komplexe Vorgänge in einen einzigen permanenten Ausdruck für die Nachwelt zu verwandeln. Bin Laden, der Drahtzieher dieses Anschlags, wurde jetzt von einer US-Spezialeinheit getötet, während die Regierungsspitze die Kommandoaktion auf einem Bildschirm im „Situation room“ verfolgte. Die Weltöffentlichkeit verlangt nun vehement die Veröffentlichung der Bilder des toten Al-Kaida-Chefs.
Es scheint, als sollte die Ikonografie des 11. September durch die Veröffentlichung der Leichenbilder nun ihr abschließendes Bild erhalten. Die mediale Sichtbarkeit von Bin Ladens Tod würde erst den Terrorakt von New York symbolisch beenden. Doch Barack Obama hat entschieden: Die Welt soll vorerst keine Fotos des toten Al-Kaida-Chefs sehen. Das Bild einer „Trophäe“ im „Krieg gegen den Terror“, der auch ein Krieg der Bilder und der Kontrolle über sie ist, hält er zurück. Er zeigt den abgeschlagenen Kopf der Schlange nicht, aus Angst, dass andere nachwachsen könnten. Denn er kann die Kraft des Bildes nicht kontrollieren. Keiner kann das.

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu (Bild: Tageblatt)

Unkontrollierbare Suggestivkraft

Bilder haben eine immense Verführungs- und Suggestivkraft. Besonders von zur Strecke gebrachten politischen Führern. Als Trophäe. Aber auch als Beweis. Denn es scheint, als ob der Gegner erst dann wirklich tot sei, wenn das Bild seiner Leiche um die Welt gegangen ist. Vom toten Che, von Mussolini, Saddam Hussein oder Ceausescu gibt es Bilder. Aufgenommen, um Legendenbildung vorzubeugen, auch wenn diese oft genug dadurch erst entsteht. Denn die Suggestivkraft von Bildern ist unkontrollierbar. Galten Bilder zuvor als Begleitphänomene von Wirklichkeit, als Abbilder von etwas, das vor allem mit Sprache erfasst werden konnte, so haben sich die kognitiven Gewichte für unsere Wahrnehmung zugunsten des vermeintlich authentischen Bildes verschoben. Wir leben in ikonografischen Zeiten. Bilder bestimmen unser Empfinden und Handeln und formen unser Denken.
Ironischerweise hat gerade jetzt ein anderes Foto gezeigt, wie unkontrollierbar Bilder sind. Das Foto aus dem „Situation room“ im Weißen Haus. Es zeigt den Präsidenten und seine engsten Vertrauten, wie sie auf einen nicht im Bild zu sehenden Bildschirm schauen. Ein Bild für die Geschichtsbücher. Auffallend an diesem Foto ist, dass es im Vordergrund nur eine Frau unter Männern zeigt und dass diese auf dem Foto Gefühle zeigt. Als einzige. Nachdem das Foto binnen weniger Tage in nahezu allen Medien weltweit veröffentlicht wurde, fühlt Hillary Clinton sich genötigt, eine Erklärung abzugeben. Die Hand vor dem Mund sei keine Gefühlsregung gewesen, sie wollte sicherlich nur ein Niesen oder Husten unterdrücken. Wegen ihrer Frühjahrsallergie.
Den vermeintlich „schwachen Eindruck“, den Clinton auf dem Foto macht, passt nicht zu den Bildern der Macht, die die US-Regierung vermitteln möchte. Gerade in diesen Tagen. Binnen weniger Stunden ist die Wirkungskraft des Bildes unkontrollierbar geworden. Die mediale Realität verfügt über ihre eigenen Gesetze.
Sowohl Staatenlenker als auch Terrorfürsten wollen stets beherrscht erscheinen, weil die Ikonografie der Macht vor allem Souveränität vermitteln soll. Das Bild des toten Bin Laden will die US-Regierung zwar nicht veröffentlichen, aber einige der in seinem Versteck sichergestellten Videos wurden jetzt freigegeben, ohne Ton. Ein Video zeigt einen alten und grauen Bin Laden, der selbstverliebt seine Propagandavideos betrachtet.
Ganz anders präsentierte er sich in seinen offiziellen Videobotschaften. Für diese Videos hat sich der gesundheitlich angeschlagene Gotteskrieger Haare und Bart schwarz gefärbt. Die Macht der Bilder hatte auch Bin Laden verstanden. Auch er müsste heute ihre Unkontrollierbarkeit eingestehen. Beim gefärbten Barte des Propheten.