Gefährliche Grenzziehungen

Gefährliche Grenzziehungen

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Die Ursachen der neuen Konflikte und Kriege im Nahen und Mittleren Osten sind alles andere als neu.

Obschon die Bekämpfung des transnationalen Terror(ismus) spätestens seit 9/11 und durch die Globalisierung eine neue Dynamik erhielt, reichen die diplomatischen Minenfelder viel weiter zurück. Die aktuellen Spannungen wurden nicht durch den Arabischen Frühling oder etwa das Ende des Kalten Kriegs ausgelöst, sondern lediglich verstärkt.

Dhiraj Sabharwal

dsabharwal@tageblatt.lu

Den Brandherden liegen vielmehr historische Entstehungsursachen zugrunde: Ehemalige Kolonialgebiete werden wegen des Versagens ihrer „demokratischen“ Staatsformen zu Brennpunkten. Den übernommenen, pardon, auferlegten Institutionen fehlen die sozialen Strukturen, die einen friedlichen Machtwechsel und eine starke Opposition erst ermöglichen würden. Die Grenzziehung stammt zudem unverändert aus der Epoche der europäischen Kolonialpolitik. Die willkürliche Festlegung der Landesgrenzen hat künstliche Gebilde entstehen lassen, in denen sich unterschiedliche Ethnien sowie Konfessionen das gleiche Territorium teilen müssen (z.B. Palästina, Irak und Transjordanien unter englischer Kontrolle, Syrien und Libanon zu Zeiten französischer Herrschaft sowie Libyen und Somalia unter dem italienischen Joch usw.).

Seit mehr als 50 Jahren entwickelt sich die Region deshalb zu einem hochexplosiven Pulverfass. Dennoch wird von Politikern, Journalisten und Think Tanks immer wieder der Kampf oder die Konvergenz der Kulturen beschworen, obschon diese Dualität alle Nuancen verschleiert und die Probleme teils hausgemacht sind: Man versucht, die Krisenregionen in „Gut“ und „Böse“ einzuteilen.

Die Schwarz-Weiß-Diplomatie

Der Nutzen einer solchen Schwarz-Weiß-Diplomatie ist spätestens seit dem Erscheinen von Edward Saids „Orientalism“ bekannt. Interventionen militärischer oder logistischer Natur lassen sich für das heimische Publikum appetitlicher inszenieren, wenn das Gegenüber als strohdummes, kulturloses und barbarisches Wesen porträtiert wird. Aktuellstes Beispiel dieser dualen Logik ist die Diskussion über die mögliche Bewaffnung der stark fragmentierten syrischen Opposition.

Dass die Trennlinie zwischen vermeintlich guten und bösen Kämpfern im Falle der syrischen Oppositionskräfte mehr als schwer zu ziehen ist, wird gerne bewusst ausgeklammert. Im Libyen-Krieg hat man es ja auch nicht so genau genommen. Die Sahelzone wurde nach dem Regimewechsel mit Waffen überschwemmt, Söldner flohen aus Libyen nach Mali und wurden dort zum bewaffneten Rückgrat der malischen Unabhängigkeitskämpfer. Heute muss die französische Außenpolitik in Mali Feuerwehr spielen, damit die hitzköpfige Libyen-Politik des Brandstifters Nicolas Sarkozy nicht weitere Flammen schlägt.

Aber seit wann ist die europäische oder US-amerikanische Außenpolitik eigentlich konsequent; und kann sie dies überhaupt angesichts wechselnder Regierungen mit unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und isolationistischen oder interventionistischen Positionen sein? Regierung A hofiert zum Zeitpunkt X einen Diktator, weil es wirtschaftspolitisch opportun ist. Regierung B des gleichen Landes stürzt den Diktator wenig später, weil es … wirtschaftspolitisch opportun ist. Das nennt man dann aber Kampf für die Menschenrechte. Der „tollwütige Hund“ Muammar al-Gaddafi und der „Schlächter von Bagdad“ Saddam Hussein sind die prominentesten Beispiele dieser in sich widersprüchlichen außenpolitischen Rhetorik – die Verwendung stereotyper „Kosenamen“ im Sinne der traditionellen Orient-Vorstellungen sei verziehen. So politisch inkorrekt darf es dann doch sein.