Zerstört Big Tech den Einzelhandel?

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Die Informationstechnologie verändert nicht nur die Märkte, sie macht sie auch allgegenwärtig, vor allem für private Verbraucher. Von so ziemlich überall auf der Welt kann man jetzt Waren und Dienstleistungen suchen, Preise von mehreren Verkäufern vergleichen und detaillierte Versand- und Lieferanweisungen geben, alles mit einem Mausklick oder einem Bildschirmtipp.

Von Maria Gonzalez-Miranda und Ivailo Izvorski*

Kein Zweifel, das ist ein Traum für alle, die auf echten, praktischen Märkten aufwuchsen, wo die Verkäufer ihre Waren in Ladenregalen, auf öffentlichen Plätzen oder auf staubigen Straßen ausstellen. In vielen Fällen erforderten Routinekäufe lange Wartezeiten oder umfangreiche Verhandlungen. Aber mit Onlinemärkten werden Einsparungen in vielen Dimensionen erzielt, und die Transaktionskosten werden in allen Phasen des Prozesses stark reduziert.

Onlinemärkte haben das Potenzial, das Wohlbefinden der Verbraucher erheblich zu verbessern, indem sie den Wettbewerb in Bezug auf Preis, Effizienz und Kundenzufriedenheit fördern, sei es durch Suchmaschinen oder einzelne Plattformen wie Amazon. Und wenn die Verbraucher bei jedem Kauf geringere Anteile ihres verfügbaren Einkommens ausgeben, haben sie Raum für mehr Konsum, was die gesamtwirtschaftliche Aktivität ankurbelt.

Erfüllen Onlinemärkte dieses Potenzial?

Was auch immer sie sonst ist, das Verfallsdatum der obigen Beschreibung ist auf jeden Fall bereits überschritten. Onlinehändler nutzen heutzutage die Internetaktivitäten der Konsumenten und andere persönliche Daten, um eine „gezielte Preisgestaltung“ zu ermöglichen. Um ein besonders umstrittenes Beispiel zu nennen: Die Fluggesellschaften nutzen die Daten der Reisenden, um die Ticketpreise so anzupassen, dass sie die Einsparungen, die die Onlinemärkte einst boten, im Wesentlichen aufheben. Wenn Sie also online nach einem teureren Auto oder einem teureren Urlaub suchen, wird dies durch Tracking-Cookies oder andere Mittel der Onlineüberwachung dokumentiert. Und mit diesen Daten bieten Ihnen digitale Werbetreibende und Einzelhändler teurere Uhren, Einrichtungsgegenstände oder Flugtickets an als einem einkommensschwächeren Nutzer, der in den gleichen Kategorien sucht. Und in manchen Fällen können sie sogar unterschiedliche Preise für die gleiche Ware oder Dienstleistung anbieten.

Die Segmentierung von Onlinemärkten besteht teilweise darin, dass Webunternehmen Preispunkte testen, um die Nachfragekurve und ihre Verbindungen zu Haushaltsmerkmalen genau abzuschätzen. In einem Artikel vom Mai 2017 in The Atlantic heißt es zum Beispiel: „Als Weihnachten 2015 näher rückte, ist der Preis für Kürbiskuchengewürz in die Höhe geschnellt … Amazons Preis für ein kleines Glas (eine Unze) war entweder 4,49 oder 8,99 Dollar, je nachdem, wann man nachschaute.“
Diese Art der Preisdiskriminierung ist legal, solange sie nicht aufgrund von Rasse, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht oder Religion erfolgt. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies, dass Daten über unsere Präferenzen, Einkommen und Ausgabenmuster bald dazu genutzt werden könnten, einen individuell kalibrierten Preis für alle Transaktionen zu bestimmen. In diesem Szenario könnten 100% des Verbraucherüberschusses zu 100% extrahiert werden.
Natürlich wird es nicht bei allen Waren und Dienstleistungen zu Preisdiskriminierungen kommen, und der Trend könnte durch die Konkurrenz von Offline-Einzelhändlern oder Neueinsteigern, die um Marktanteile wetteifern, gemildert werden, die allen niedrigere Preise anbieten. Alternativ könnten die in einigen Branchen gesammelten Daten so weit verbreitet sein, dass sie alle zu einem einzigen Preis für jedes einzelne Unternehmen konvergieren. Tatsächlich stehen Unternehmen heute wahrscheinlich schon vor einer solchen Preissegmentierung, vor allem solche, die viele öffentliche Daten gesammelt haben.

Stark fragmentierte Märkte

Das deutet darauf hin, dass die Märkte potenziell stark fragmentiert sein könnten, sodass sich die Auswahl der Verbraucher strikt auf die Angebote beschränkt, die nach ihren Datenprofilen ausgewählt wurden. Wie jeder Student der Wirtschaftswissenschaften weiß, verringert eine solche Situation das allgemeine Wohlergehen, da jeder Verbraucher gezwungen wird, das Maximum dessen zu zahlen, was er bereit ist, für jede Ware oder Dienstleistung, die er kauft, auszugeben, wobei er nichts „extra“ für sich behält.
Erschwerend kommt hinzu, dass unter anderem der rasant steigende Kapital- und Qualifikationsbedarf für die Produktion einen Trend zu weniger Wettbewerb zwischen den Unternehmen in einer Vielzahl von Branchen in den entwickelten Volkswirtschaften aufrechterhält.

Zusammen mit der systematischen „Entnahme“ von Konsumentenüberschüssen wird dies weitreichende makroökonomische Auswirkungen haben, insbesondere durch Veränderungen im privaten Konsumverhalten. Für die Verbraucher wird der Anteil des durch ihr verfügbares Einkommen zur Verfügung gestellten wirtschaftlichen Kuchens real schrumpfen, was zu einem Rückgang der Gesamtnachfrage führen wird. So wird am Ende des Tages weniger für alle da sein.

Inmitten der anhaltenden Debatte darüber, wie die dominierenden Technologieunternehmen die von den Nutzern online gesammelten personenbezogenen Daten nutzen und nicht nutzen dürfen, haben viele dieser Unternehmen diese Fragen weiterhin für sich selbst – und damit auch für den Rest von uns – entschieden. Im Interesse des sozialen Wohlergehens in den kommenden Jahren und Jahrzehnten müssen wir sicherstellen, dass diese Entscheidungen mit der Schaffung und Erhaltung gesunder, wettbewerbsfähiger Märkte vereinbar sind. Denn ein System, das den Verbrauchern zugutekommt, kommt allen zugute.

*Maria Gonzalez-Miranda ist Practice-Managerin für Makroökonomie, Handel und Investment Global Practice bei der Weltbank. Ivailo Izvorski ist Lead Economist für Makroökonomie, Handel und Investment Global Practice bei der Weltbank.

Aus dem Englischen von Eva Göllner.
Copyright: Project Syndicate, 2018.