StandpunktWird China den Nahen Osten für sich gewinnen?

Standpunkt / Wird China den Nahen Osten für sich gewinnen?
Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian (l.), der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan (r.) und der Chef der chinesischen Diplomatie Qin Gang bei einem Treffen am 6. April in Peking Foto: AFP

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Vor nur fünf Jahren wäre es für Saudi-Arabien, einen traditionellen strategischen Partner Amerikas, praktisch unvorstellbar gewesen, einer Wirtschafts- und Sicherheitsorganisation beizutreten, die von China und Russland geleitet wird. Im letzten Monat hat das Königreich jedoch seine Absicht erklärt, „Dialogpartner“ der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) zu werden – und damit den ersten Schritt hin zu einer vollständigen Mitgliedschaft zu gehen.

Die Gründung der SOZ reicht in die 1980er Jahre zurück, als die Sowjetunion und China versuchten, Spannungen hinsichtlich ihrer gemeinsamen Grenze beizulegen. Nach der Auflösung der Sowjetunion wurden aus den zwei Mitgliedsländern fünf: die Volksrepublik China, die Russische Föderation, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan. 2001 einigten sich diese sogenannten Schanghaier Fünf dann darauf, über die Demarkation und Demilitarisierung ihrer Grenzen hinauszugehen und ihre regionale Zusammenarbeit zu vertiefen. So wurde die SOZ geboren.

Heute besteht die SOZ aus den fünf Gründungsländern plus Indien, Pakistan und Usbekistan; und dieses Jahr soll auch noch der Iran beitreten. Außerdem hat die SOZ neun Dialogpartner: Armenien, Aserbaidschan, Kambodscha, Ägypten, Nepal, Katar, Sri Lanka, die Türkei und jetzt Saudi-Arabien – und fünf weitere Länder wollen diesen Schritt noch gehen. Drei Länder – Afghanistan, Belarus und die Mongolei – verfügen über einen Beobachterstatus.

Zwar ist die SOZ kein Militärbündnis wie beispielsweise die NATO, aber sie ist auch keine reine Wirtschaftsvereinigung. Im Gegenteil: Laut der Satzung der SOZ ist der zentrale Zweck der Organisation eine Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich, und die Mitgliedstaaten veranstalten regelmäßig gemeinsame Militär- und Antiterrorübungen. So sind in der russischen Oblast Tscheljabinsk für August gemeinsame „Übungen zur Terrorbekämpfung“ geplant.

Ein Sieg für China

Saudi-Arabiens Mitgliedsantrag bei der SOZ ist ein Sieg für China, das versucht, seinen geopolitischen Einfluss zu vergrößern und die momentane, von den Vereinigten Staaten geleitete internationale Ordnung herauszufordern. Entscheidend für diese Bemühungen war die diplomatische Komponente: So hat Saudi-Arabien drei Wochen vor seiner Unterzeichnung des SOZ-Memorandums einem von China vermittelten Abkommen zugestimmt, um wieder diplomatische Beziehungen zum Iran aufzunehmen. Niemand sollte also überrascht sein, wenn China bald versucht, zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts beizutragen.

Aber was solche diplomatischen Erfolge ermöglicht, ist Chinas wirtschaftlicher Einfluss. Es ist kein Zufall, dass der staatliche Ölgigant Saudi Aramco am 27. März – zwei Tage vor der saudischen Unterzeichnung des SOZ-Memorandums – ankündigte, er habe für 3,6 Milliarden Dollar 10% des chinesischen Konzerns Rongsheng Petrochemical übernommen. Der Aramco-Konzern – der jetzt schon über viermal mehr Rohöl an China liefert als an die USA – will nun chinesische Raffinerien mit 690.000 Fässern Rohöl pro Tag versorgen.

Saudi-Arabien scheint seine Loyalität an den Höchstbietenden zu verkaufen. Neben der SOZ-Angliederung hat das Königreich formal beantragt, einer weiteren chinesisch dominierten Gruppe beizutreten – den Brics-Ländern, zu denen auch Brasilien, Russland, Indien und Südafrika gehören. Die Brics wurden 2001 von Goldman Sachs als Anlageklasse definiert, und so bekamen sie bald ein Eigenleben. 2006 wurden sie zu einem Handelsbündnis, das versuchte, sich als geopolitische Alternative zu den G7 zu positionieren. Dabei diskutierten sie sogar die Ausgabe einer gemeinsamen Währung, die als Alternative zum US-Dollar dienen könnte.

Angesichts dessen, dass 72 Prozent des gesamten BIP der Brics auf China fällt, könnte sich der Block – der bald noch größer werden könnte – dafür entscheiden, Handelszahlungen in Renminbi abzuwickeln. Und wenn nicht, könnte China immerhin seine Energiekäufe aus Saudi-Arabien mit Renminbi bezahlen – wie bereits jene aus Russland. Angesichts dessen, dass China weltweit 15 Prozent der Ölnachfrage und 10 Prozent des Ölhandels auf sich vereint, könnten auch andere Ölförderländer diese Zahlungsweise übernehmen.

Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass China die USA sehr bald aus dem Nahen Osten vertreibt – nicht zuletzt deshalb, weil Amerika für die meisten Golfstaaten ein führender Sicherheitspartner bleibt. In Saudi-Arabien gibt es weiterhin US-Militärstützpunkte, und im letzten Monat haben die beiden Länder in einem neuen Militärtestzentrum in Riad ihre erste Drohnenabwehrübung abgeschlossen. Und in derselben Woche kündigten zwei saudische Fluggesellschaften an, beim US-Hersteller Boeing 78 Flugzeuge zu bestellen und Optionen für 43 weitere zu erwerben.

Saudi-Arabiens Wende

Trotzdem sind die USA über Chinas wachsenden Einfluss im Nahen Osten besorgt. Obwohl die US-Politiker die Folgen des saudischen Anschlusses an die SOZ heruntergespielt haben und meinten, dies sei schon längst absehbar gewesen, äußerten sie Bedenken über die Einführung von Huawei-5G-Technologie im Nahen Osten und drängten die Vereinigten Arabischen Emirate, eine angebliche chinesische Sicherheitseinrichtung zu schließen. Die Zusammenarbeit mit China, so warnten die USA, könnte die Beziehungen der VAE zu Amerika untergraben.

Laut saudischer Sichtweise sind es aber die USA, die die bilateralen Beziehungen beschädigt haben. Im Wahlkampf 2020 drohte US-Präsident Joe Biden, das Königreich für den Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi zu einem „Paria“ zu machen. Obwohl Biden seine Position seitdem gemäßigt hat, gelten weiterhin einige grundlegende Restriktionen – beispielsweise im Bereich der Waffenlieferungen.

Darüber hinaus haben die US-Senatoren Chris Murphy und Mike Lee kürzlich eine „privilegierte Resolution“ vorgeschlagen, um das Außenministerium anzuweisen, Saudi-Arabiens Menschenrechtslage und seine Beteiligung am Krieg im Jemen zu untersuchen. Laut dieser Resolution müssten die Saudis dann innerhalb von 30 Tagen Bericht erstatten, andernfalls würden alle Sicherheitshilfen von amerikanischer Seite beendet.

Saudi-Arabiens Wende in Richtung China spiegelt daher seine Unzufriedenheit des Königreichs mit der US-Politik wider. Dies ist zwar nicht das erste Mal, dass sich die Saudis auf der politischen Bühne so verhalten, aber selbst wenn etwas vertraut ist, muss es nicht unbedingt harmlos sein. Dass China die Möglichkeit hat, Nahostländer in politische und wirtschaftliche Blöcke zu treiben, könnte weitreichende strategische Folgen haben.

Dschoomart Otorbajew, ehemaliger Ministerpräsident von Kirgistan, ist Verfasser des demnächst erscheinenden Buchs „Central Asia’s Economic Rebirth in the Shadow of the New Great Game“ (Routledge, 2023).

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Copyright: Project Syndicate, 2023. www.project-syndicate.org