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Forum / Kann Secondhand die Welt retten?
Im Secondhand-Laden Pilea in Luxemburg-Stadt kann man nach Herzenslust stöbern Foto: Editpress-Archiv/Fabrizio Pizzolante

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Im Frühjahr 2020 hat es wohl jeder getan: den Lockdown genutzt, um zu Hause Ordnung zu schaffen. Viele haben sich der Mammutaufgabe angenommen und endlich ihren Kleiderschrank ausgemistet. Was da ans Licht kam, ist erschreckend: Berge über Berge an Kleidung. Manches davon nie oder so gut wie nie getragen. Die einstigen Must-haves fliegen wertlos in die Altkleidertonne. Der Grund dafür, dass wir unsere Kleidung immer weniger wertschätzen, ist „Fast Fashion“, die schnelle Mode. Wir kaufen mehr, tragen weniger und werfen schließlich vieles ungetragen in den Müll.

In den letzten 15 Jahren hat sich die Textilproduktion mehr als verdoppelt. Laut einer Studie von McKinsey & Company bieten Marktführer heutzutage jährlich bis zu 24 neue Kollektionen an. 2014 wurden erstmals mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke in einem Jahr neu produziert. Mittlerweile existieren genügend Klamotten für die kommenden sechs Generationen. Während 2014 rund 60% mehr Kleidung gekauft wurde als noch in 2000, wurde sie auch doppelt so schnell wieder entsorgt. 85% aller Textilien landen entweder auf Mülldeponien oder werden verbrannt. Trotz des rasanten Konsumanstiegs bleibt der Preis niedrig. Heute ist Mode so günstig, dass sie zur Wegwerfware degradiert wurde. Und der Abfall ist nur eines der vielen Probleme der Modeindustrie: Sie ist zweitgrößter Umweltverschmutzer, gleich nach der Ölindustrie. Sie verursacht 10% des globalen CO2-Ausstoßes und 20% der globalen Wasserverschmutzung, welche nicht bei uns, sondern vor allem in Produktionsländern wie Bangladesch zu verheerenden Gesundheitsschäden führt.

Kaufen, tragen, wegwerfen

Um die Modebranche nachhaltiger zu machen, müssen wir das alte konsumorientierte Wirtschaftssystem durchbrechen. Das lineare Geschäftsmodell der Fashionindustrie – kaufen, tragen, wegwerfen – muss zirkularer werden und somit der Kreislauf jedes Kleidungsstücks geschlossen oder zumindest verlangsamt werden. Die einfachste Möglichkeit hierfür ist, unsere Kleidung länger zu tragen. Laut einer Studie von Carbon Trust würde die Verlängerung der Lebensdauer unserer Kleidung von einem auf zwei Jahre die CO2-Emissionen um 24% reduzieren.

Eine weitere Alternative, die Lebensdauer unserer Kleidung zu verlängern, besteht darin, gebrauchte Kleidung zu kaufen. So ist man sicher, dass kein Geld an einen großen Fast-Fashion-Konzern fließt, welcher durch Ausbeutung Umsatz macht, dass der Erde keine Ressourcen entzogen werden und dass das noch intakte Kleidungsstück nicht im Müll landet. Secondhand ist nicht nur nachhaltiger, sondern auch billiger und voll im Trend. In einer Studie von McKinsey & Company sagten rund 50% der 18- bis 39-Jährigen, dass sie nach der Covid-19-Krise Secondhand shoppen wollen.

Auch in Luxemburg ist dieser Trend angekommen und selbst in der Covid-19-Krise gefragter denn je. Neben zahlreichen privaten Initiativen, sei es ein Kleidertausch oder -verkauf innerhalb des Freundeskreises oder aber auf Flohmärkten, gibt es mittlerweile im ganzen Land auch einige Secondhand-Geschäfte.

Wie zum Beispiel der Café-Secondhand-Shop Pilea, der erst im März 2020 in der Nähe des Luxemburger Bahnhofs eröffnet hat. Im Norden des Landes befindet sich seit 2013 die Boutique Secondhand4Sale, wo man ebenfalls gebrauchte Kleidung, Taschen und Schuhe erwerben kann. Seit 2019 bietet das Secondhand-Konzept „pardonmycloset“ ausgewählte Secondhand-Teile in verschiedenen Pop-up-Stores in Luxemburg an, wie zum Beispiel in den Galeries Lafayette.

Alles andere als muffige Oma-Klamotten

Diese drei Initiativen beweisen nicht nur, dass Secondhand alles andere als muffelige Oma-Klamotten ist, sondern auch, dass zirkulare Ökonomie möglich ist. Denn genau so funktionieren die Geschäftsmodelle von Pilea, Secondhand4Sale und pardonmycloset. Es sind Kunden aus Luxemburg, die ihre aussortierten Kleider zu ihnen bringen. Vor Ort wird gemeinsam geprüft, welche Teile für den Weiterverkauf geeignet sind und gegebenenfalls eine Kommission ausgemacht. Schließlich werden die Kleider an Kunden innerhalb des Landes weiterverkauft und somit ihre Lebensdauer um einiges verlängert. Der Kreislauf schließt sich. Alles, was innerhalb von einigen Monaten nicht verkauft wurde, wird an karitative Institutionen gespendet, wie zum Beispiel Caritas Luxemburg, Dress for success, Croix-rouge oder Stëmm vun der Strooss.

Secondhand ist die einfachste und demokratischste Art, diese schmutzige Industrie etwas nachhaltiger zu machen. Im Gegensatz zu anderen Ländern jedoch ist in Luxemburg gebrauchte Kleidung meist nur etwas günstiger als neue Fast Fashion. Dies lässt sich einerseits auf die hohen Mieten zurückführen, allerdings auch darauf, dass die Kunden auf Secondhand genau so wie auf neue Kleidung 17% TVA bezahlen müssen, obwohl diese bereits beim ersten Verkauf bezahlt wurde. Für einen effektiven Wandel des Konsumverhaltens müsste Secondhand noch zugänglicher und diese 17% TVA überdacht werden.

Mehr Information über einen nachhaltigen und ethischen Umgang mit Kleidung finden Sie auf www.rethinkyourclothes.lu.

* Michelle Schmit arbeitet als „Chargée de communication et de sensibilisation“ in der internationalen Kooperation von der Fondation Caritas Luxembourg.

de Schéifermisch
8. Dezember 2020 - 10.49

Ein guter Ansatz, eine lobenswerte Initiative....leider blauäugig. Ein Tropfen Wasser auf einen heissen Stein. Diese Welt war und ist nicht zu retten.

B.G.
8. Dezember 2020 - 8.33

@ von , von und zu Michelle. Mehr kaufen , davon wenig gebrauchen und ungenützt in den Wiederverwendungs -Müllkasten werfen .....-erinnert zwar an Zeitungsartikel die ein selbiges Schicksal mehr als verdienen , kann aber leider ,wie Sie glauben die Welt nicht retten . Trotzdem alle Ehre für Ihren Mut mit dem Beispiel getragener Kleidung den Ärmsten der Armen ein Vorbild zu sein. Im Krieg wie im Krieg !!

Gariuen
7. Dezember 2020 - 12.35

Nein, kann sie nicht. Die unerwünschten T-Shirts haben Afrikas sämtliche Stoff- und Kleiderindustrien zerstört.