Glyphosat: Die Vertrauenskrise in die EU-Kommission

Glyphosat: Die Vertrauenskrise in die EU-Kommission

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Monsanto und seine Produkte.

Von Jean Feyder, ehemaliger Botschafter

Unter dem Titel „Monsanto hat Vertrauen zerstört“ berichtete das Tageblatt am vergangenen Donnerstag über die Bedenken, die bei einer Anhörung im Europa- parlament zu Glyphosat- Studien zum Ausdruck gebracht wurden.

Experten stellten klar, dass die zuständigen EU-Behörden EFSA und ECHA ihre Gutachten in weiten Teilen von Monsanto abgeschrieben haben. EFSA und ECHA beraten die Europäische Kommission, die sich stets in ihren Vorschlägen zu Normen im Nahrungsmittel- oder GVO-Bereich auf die Stellungnahmen dieser Agenturen beruft. Die Zulassung von Glyphosat zum EU-Markt läuft Ende dieses Jahres ab. Die EU-Kommission hat eine Verlängerung von zehn Jahren vorgeschlagen. Frankreich, Italien und Österreich haben angekündigt, gegen diesen Vorschlag zu stimmen. Kaum vorstellbar, dass nach diesen Aussagen im Europaparlament Luxemburg sich wieder nur der Stimme enthalten könnte.
Über ihre Krebsforschungsagentur, die „International Agency for Research on Cancer“ (IARC), hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Im November 2015 hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die krebserregende Gefahr von Glyphosat jedoch als „unwahrscheinlich“ eingeschätzt. Im März 2017 erschien ein neues Gutachten, diesmal von der Europäischen Agentur für chemische Produkte (ECHA). Auch sie kam zur Erkenntnis, dass Glyphosat nicht krebserregend oder mutagen sei.

Anfang Februar 2017 hatte eine breite Koalition von europäischen Nichtregierungsorganisationen die Europäische Bürgerinitiative (EBI) für ein Verbot des Herbizids Glyphosat gestartet. Die EBI wurde von 38 Organisationen in 15 Ländern unterstützt. Die Umwelt- und Gesundheitsschutzorganisationen forderten die Europäische Kommission auf, Glyphosat zu verbieten, das Pestizid-Genehmigungsverfahren zu reformieren und verbindliche Reduktionsziele für die Verwendung von Pestiziden in der EU festzulegen.

Die Monsanto-Leaks

Ein neues Element wurde im März 2017 über Enthüllungen durch die US-Justiz in die Debatte eingebracht. Sie hat 250 Seiten interne Dokumente von Monsanto zur Veröffentlichung freigegeben. Dies geschah im Rahmen eines Gerichtsverfahrens, das infolge einer kollektiven Klage eingeleitet wurde, die Hunderte von landwirtschaftlichen Arbeitern in Kalifornien gegen Monsanto eingereicht hatten. Sie litten unter Blutkrebs, nachdem sie bei ihrer Arbeit mit Glyphosat in Kontakt gekommen waren. Diese Dokumente zeigen, dass Monsanto sich bereits 1999 recht besorgt zeigte über das mutagene Potenzial und über die mögliche Gentoxität von Glyphosat. Monsanto hatte auch auf ein stilles Einverständnis mit der Umweltschutzagentur (EPA) zählen können. James Parry, in den USA anerkannt als einer der Päpste in Sachen Gentoxität, hatte seine Bedenken zu Glyphosat in einem Bericht an Monsanto zum Ausdruck gebracht, den die Firma nie veröffentlichte.

In Kalifornien hat ein Gericht eine Klage Monsantos gegen die dortige Agentur für gesundheitliche Sicherheit („Office of Environmental Health Hazard Assessment“) abgewiesen, da diese die Etikettierung von Produkten vorschrieb, die unter Glyphosateinsatz produziert wurden und möglicherweise krebserregend seien. Die Anhörungen im EU-Parlament über die Beurteilung von Glyphosat vertiefen lediglich eine seit langem bestehende Vertrauenskrise in das europäische System der Bewertung und in die Einschätzung der Gesundheits- und Umweltrisiken. Anfang 2016 hat der europäische Ombudsman den Laxismus der Kommission in Sachen Zulassung von Pestiziden scharf verurteilt.

Unterschiedliche Bewertungen

Wie kommt es zu dieser unterschiedlichen Bewertung von Glyphosat? Die Einschätzung der EFSA beruhte auf einer Bewertung, die das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) im Auftrag der EU vorgenommen hat. Diese Einschätzung des BfR, dass der Pestizidwirkstoff nicht humantoxisch sei, basiert, so die Meinung mehrerer deutscher Verbände, fast ausschließlich auf Studien, die von Glyphosat-produzierenden Unternehmen selbst durchgeführt oder in Auftrag gegeben wurden.

Die IARC der WHO hingegen hat etwa tausend Studien aus der wissenschaftlichen Literatur berücksichtigt. Dem BfR wurde vorgeworfen, die industriefreundlichen Kriterien für die Bewertung von Glyphosat-Studien heranzuziehen und die notwendige kritische Distanz zu den Pestizidherstellern vermissen zu lassen.

Der EU-Pestizidgesetzgebung wird vorgehalten, ganz auf die Bedürfnisse der Hersteller, die ihren Wirkstoff auf den Markt bringen wollen, zugeschnitten zu sein. Schlimmer noch, im EU-Parlament wurde klargestellt, dass die zuständigen EU-Behörden EFSA und ECHA ihre Gutachten in weiten Teilen von Monsanto abgeschrieben haben.

Gutachten zu Studien

Vor kurzem „legte Plagiatsprüfer Stefan Weber in Berlin ein vernichtendes Gutachten vor: Das BfR habe in seinem Bericht Passagen aus anderen Studien teils wörtlich übernommen und deren Herkunft bewusst verschleiert. Es ist offensichtlich, dass das BfR keine eigenständige Bewertung der zitierten Studien vorgenommen hat“ (Der Spiegel, 41/2017).

NGOs kritisierten die Gutachten von EFSA und ECHA heftig. Sie prangerten insbesondere den Interessenkonflikt unter den für die Risikobewertung zuständigen Experten. Bereits vor einigen Jahren hat der grüne EU-Parlamentarier José Bové Verbindungen mehrerer Mitglieder der EFSA mit Industrieverbänden aufgedeckt. So hatte Diana Banati, die Präsidentin dieser Behörde, einen offenen Interessenkonflikt, da sie zur gleichen Zeit im Aufsichtsrat der ILSI („International Life Science Institute“) saß. ILSI ist ein Lobby-Institut, das 1978 von großen Konzernen wie Coca-Cola, Heinz, Kraft, General Foods, Procter&Gamble, Danone, Mars, McDonald’s, Kellogg’s, Monsanto, Dupont und Novartis gegründet wurde. Kurz danach gab Diana Banati ihre Präsidentschaft bei EFSA auf, um den Direktorenposten bei ILSA Europa zu übernehmen.

Vor einem Jahr fand in Den Haag das internationale Monsanto-Tribunal statt. Das aus fünf Richtern bestehende Tribunal unter der Leitung der Belgierin Françoise Tulkens hörte die Aussagen von 24 Opfern von Monsanto und dessen Produkte, von Experten und Anwälten. Im April machte es seine Schlussfolgerungen bekannt: Monsanto verletzt mehrere Menschenrechte: das Recht auf eine gesunde Umwelt, das Recht auf Nahrung, das Recht auf Gesundheit. Auch die Freiheit zu wissenschaftlicher Forschung wurde verletzt. Monsantos Tätigkeiten könnten auch ein Verbrechen des Ökozids darstellen, sollte ein derartiger Tatbestand dereinst im Völkerrecht verankert werden.
Will die Kommission unter Jean-Claude Juncker nicht noch mehr Vertrauen der EU-Bürger verlieren, müsste sie dringend die Folgen unter anderem aus all diesen Enthüllungen ziehen und ein neues, unabhängiges System der Bewertung und Einschätzung der Gesundheit- und Umweltrisiken einführen.

GuyT
21. Oktober 2017 - 14.26

An Beispiel Glyphosat zeigt sich schön was den EU-Bürgern blüht wenn in wenigen Jahren die Nationalestaaten ihre Entscheidungsgewalt , auch in Umweltfrage, an die von Lobbyvertretern durchseuchte EU Technokratie abgegeben hat.

Lucas
18. Oktober 2017 - 9.34

Et brauch een nëmmen no "glyphosat lebensmittel liste" ze googeln, fir gewuer ze ginn, wou dat Gëft schonn iwwerall dran ass.