Gibt es noch „Hirnbesitzer“ im Großherzogtum?

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Robert Goebbels, ehemaliger EU-Abgeordneter und früherer Wirtschaftsminister, mahnt zur Vorsicht bei inhaltsleeren Adjektiven zur Wirtschaftspolitik.

Die politische Diskussion ist stark vom „ökonomischen Analphabetismus“ geprägt. Da verkünden selbst gestandene Politiker Weisheiten, die weder durchdacht noch zu
belegen sind.

Etwa bei der „Wachstums“-Debatte, die offensichtlich den kommenden Wahlkampf prägen wird. Wirtschaftliches Wachstum müsse „nachhaltig“, „selektiv“, „effizient“ sein, heißt es allenthalben. Solche Worthülsen lassen sich beliebig multiplizieren. Doch was heißt dies alles konkret? Selbst Woxx (16.11.17) hinterfragt, „welches wirtschaftliches Modell?“ da vertreten wird: „Diese Frage lässt sich nicht beantworten, indem man das Adjektiv ‚qualitativ‘ vor das Wort ‚Wachstum‘ setzt.“

Qualitatives Wachstum entsteht beispielsweise nicht, indem die Herstellung von Glaswollmatten in Luxemburg verhindert wird. Um danach solche Matten massiv zu importieren und zur Senkung des Energieverbrauchs von Häusern zu subventionieren! Oder wenn die Niederlassung eines Data-Center von Google als zu energieintensiv angeprangert wird. Das ganze Volk „googelt“ täglich mit Wollust, was Energieverbrauch und Daten-Center voraussetzt. Weshalb wird „Landverbrauch“ durch einen Hersteller von griechischem Joghurt zu einer Zumutung? Ist Joghurt von Luxlait das einzige Naturprodukt, dessen Produktion ohne Land, Wasser und Energie auskommt?

Schließt eine Industrie, etwa die Schifflinger Schmelz, ist es ein nationales Drama. Neue Industrien sind jedoch verdächtig, weil sie ja doch „nur Ausländer“ einstellen. Wie viele Luxemburger werkeln noch für ArcelorMittal? Wäre nicht das Differdinger Werk besser geschlossen? Dann gäbe es vielleicht einige Grenzgänger weniger auf unseren Straßen. Auch weniger CO2-Ausstoß, weniger Feinstaub und ähnliche Gräuel.

Wir faseln von „Landverbrauch“ in einem Land, welches das Kunststück fertigbrachte, auf Belval Dutzende Hektar Industriebrachen zu allen denkbaren Funktionen zu nutzen, ohne einen Hektar für Gewerbezwecke einzuplanen. Das Hunderte Hektar von ehemals industriell ausgebeutetem Land, etwa die Baggerweiher von Remerschen oder die früheren Tagebaustätten „Op der Hardt“ (600 Hektar) und „Lallingerbierg“ (267 Hektar), zu Ausnahme-Biotopen erklärt. Und Letztere gar von der Unesco als Weltkulturerbe geheiligt sehen möchte.

Luxemburg ist keine Betonwüste

Wir leben in engen Staatsgrenzen und werden nie über unsere 2.586 Quadratkilometer hinausreichen. Dennoch ist Luxemburg weniger dicht besiedelt als das benachbarte Saarland. Oder als Belgien, Holland, Großbritannien. Mit 230 Einwohnern pro Quadratkilometer haben wir eine Bevölkerungsdichte ähnlich wie die bekannten Betonwüsten Deutschland, Italien oder Schweiz.

Bebaute Nutzung von Land ist kein definitiver „Landverbrauch“. Alles, was von Menschenhand errichtet wird, kann zurückverwandelt und von der Natur neu erobert werden. Wie die ehemaligen Tagebaustätten. Nur dass bei uns die Tendenz besteht, jeden einmal erbauten Betonklotz als „Kulturerbe“ hochzuloben. Das zeigen die Diskussionen um die angeblich „identitätsstiftende“ Gebläse-Halle auf Belval. Für Antje Folmer, ehemalige kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, sind manche Denkmalschützer bloß „Prinzipienreiter, unwissend und rechthaberisch“, gar „Lumpensammler“, die „das Kostbare nicht mehr vom Alltagsschmuddel“ unterscheiden können (Die Zeit, 19.4.2000). Wer die Gebläse-Halle oder die ehemalige CHL-Maternité unbedingt als „kulturelles Erbe“ erhalten möchte, muss Wirtschaftswachstum akzeptieren. Denn ohne sehr viel Geld ist kein alter Zweckbau mit neuem Leben zu erfüllen.

Leider sind die meisten Politiker viel besser im Erfinden neuer Ausgaben und neuer Steuern als im finanziellen Wirtschaften. Für den Ko-Chef der „Grünen“, Christian Kmiotek, ist alles einfach: Wer Ressourcen verbraucht, ob Wasser, Land oder Energie, muss entsprechend besteuert werden. Selbst bei Elektroautos soll der „Ressourcenverbrauch besteuert“ werden (Tageblatt vom 22.2.18). Doch zur Besteuerung muss eine Besteuerungsmasse vorhanden sein. Bei weiterer Desindustrialisierung (immerhin fällt der Anteil der Industrie an der nationalen Wertschöpfung kontinuierlich) ist es geradezu vermessen, auf neue Industrien zu verzichten. Und sei es „nur“ eine Joghurt-Fabrik. Wer glaubt, ohne Industrien auskommen zu können, muss sagen, was noch wachsen darf. Der Flughafen? Die Transport-Branche? Der von internationalen Investoren gepuschte Immobiliensektor? Der vom Ausland verfemte Finanzplatz?

Der Spitzenmensch der CSV, Claude Wiseler, will das Wirtschaftswachstum „geleitet und begleitet“ sehen. Viel Glück in einem Land, das zu einer wirklichen makroökonomischen Steuerung unfähig ist, weil es 90% aller Waren und Dienstleistungen exportiert und praktisch alle Konsumgüter sowie alle Energie importiert. Womit Luxemburg auf Gedeih und Verderb von der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa und der Welt abhängig bleibt. Die von Luxemburg aus nicht „geleitet“ werden kann. Und die nur insofern zu „begleiten“ ist, wie die nationale Politik schneller als andere Staaten neue europäische Regelwerke umsetzt, z.B. im Finanzbereich. Oder auf neue technologische Entwicklungen reagiert. Stichworte: Daten-Center oder Space-Mining. Wiseler möchte Luxemburg zu einem „Medical Hub“ ausbauen. Was genau darunter zu verstehen ist, bleibt sein Geheimnis.

Darf der Flughafen wachsen?

Vor 30 Jahren scheiterte ein Projekt über die eventuelle Niederlassung einer großen amerikanischen Universitätsklinik weniger am Widerstand der Ärzteschaft als an der Erkenntnis, dass nicht genügend Blutplasma hierzulande anfallen würde, um den Bedürfnissen eines internationalen Klinikums zu begegnen. Der „Medical Hub“ der CSV käme übrigens auch nicht ohne Land, Wasser und Energie aus …

Unser Land konnte dank nationaler Solidarität die Stahlkrise und damit die totale Abhängigkeit von diesem monolithischen Sektor überwinden. Eine recht breit gefächerte Reindustrialisierung, ein Finanz- und Servicesektor mit mehreren Standbeinen erlaubten es der nationalen Politik, unser Sozialnetz stetig auszubauen, hohe Renten und Pensionen sowie die besten Gehälter im öffentlichen Dienst zu zahlen.

Und auch sonst einen der höchsten Lebensstandards in Europa zu gestalten. Gewiss, obwohl wir über den höchsten Mindestlohn der Welt verfügen, bleiben Probleme, vornehmlich auf dem Wohnungsmarkt. Da wir den größten Fuhrpark Europas pro 100.000 Einwohner besitzen, stehen wir öfters im Stau. Doch die Lösung solcher Probleme, der Erhalt der hohen Kaufkraft, die Absicherung der sozialen Sicherheit werden nicht möglich sein, falls die Politik auf die Wachstumsbremse tritt. Zumal unersichtlich ist, was gebremst werden sollte, abgesehen von Joghurt und Steinwolle.

Ist schon vergessen, dass nach der großen Finanzkrise unser Sozialprodukt in den Jahren 2008 und 2009 sowie erneut 2012 stark schrumpfte? Die Arbeitslosenrate unerträglich anstieg? Dass vor den Wahlen in 2013 alle Parteien für Sparmaßnahmen beim Staat und für eine aggressivere Wirtschaftspolitik plädierten?

Es ist der Bettel-Schneider-Regierung gelungen, den finanziellen Engpass beim Staat wegen plötzlich fehlender Einnahmen aus dem elektronischen Handel ohne wirkliche Austeritäts-Maßnahmen zu überwinden. Durch hohe Investitionen konnte die Bauwirtschaft stimuliert werden. Das ist der einzige Sektor der nationalen Wirtschaft, den der Staat in etwa steuern kann. Wer, wie Beethoven von sich sagte, ein „Hirnbesitzer“ ist, sollte dieses im Getümmel des sich anbahnenden Wahlkampfs ständig nutzen. Kein Bürger darf sich von wirtschaftlichen Analphabeten bluffen lassen. Die statt mit schlüssigen Vorschlägen nur mit inhaltsleeren Adjektiven operieren.

René Charles
8. März 2018 - 17.43

Jo, wat fir een Mindestloun? Onqualifizéiert, qualifizéiert?

René Charles
8. März 2018 - 17.39

Genau sou as ët! Wien als Politiker 'auf die schnelle' well glänzen, besonnesch virun de Walen, soll dat do mol berücksichtegen an d'Tatsaach dass de Wieler och sou Saachen berücksichtecht. ( ......en vaut deux.)

armand
7. März 2018 - 17.29

natürlich muss man in zukunft selektiver bei neuen firmen sein. beispiel griechischer Joghurt. diese firma wird während 5-10 jahren keine ohne fast keine steuern bezahlen. die grundstoffe zur herstellung werden sicher nicht vom lux. bauer bezogen sondern durch halb europa nach luxemburg gebracht (verkehrsaufkommen, luftverschmutzung,..). die produktion ist mit einem hohen wasserverbrauch verbunden der zum grössten teil vom privatmann/frau finanziert wird (eu-regel, der wasserpreis muss kostendeckend sein). auch werden 80% der beschäftigten grenzgänger sein mit mindestlohn (d,h, wenig bis gar keine steuern, verstopfte strassen, abgase, eventuel kindergeld, studienbeihilfen,..) ich habe nichts gegen griechischen Joghurt, oder grenzgänger. dies sollte nur eine einfache kosten/nutzen rechnung sein. ein negativ geschäft für luxemburg und ganz und gar nicht "nachhaltig".

pcl
7. März 2018 - 13.22

gefellt mer

Jeff
7. März 2018 - 11.42

Interessanten Artikel. Ech froen mech leider weieng Quellen benotzt ginn fir ze behaapten, dass mir den héchsten Mindestloun hunn? An Australien krut en 0.7€/h méi wei hei. Zudeem ginn et Kantonen an der Schwäiz wei t'Jura an Neuenburg, wou den Mindestloun op 2834€(3467 Franken)

Jacques Hoffmann
6. März 2018 - 19.48

Guter Artikel, Herr Goebbels !