Arbeitsplätze schaffen statt vernichten

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Unlängst berichtete das Tageblatt über den EU-Afrika-Gipfel im Abidjan, bei dem Luxemburg durch Premierminister Xavier Bettel vertreten war. Überschattet wurde dieser Gipfel durch den Skandal des Sklavenhandels mit afrikanischen Flüchtlingen in Libyen.
Eigentlich sollte die Schaffung von Arbeitsplätzen für Jugendliche das Hauptthema dieses Gipfels sein.

Jedes Jahr kommen 30 Millionen Jugendliche in Afrika neu auf den Arbeitsmarkt. 60 Prozent der Bevölkerung in Afrika haben weniger als 25 Jahre, davon sind 30 Prozent arbeitslos.

Dazu verlangte EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani einen „Marshallplan mit Afrika“. Durch eine „Investitionsoffensive“ für Afrika sollen bis 2020 mindestens 44 Milliarden Euro an privaten Investitionen unterstützt werden.

Die Frage ist, ob es sich hier nicht wieder um leere Worte handelt. Ob fundamentale Fragen in den Beziehungen zwischen der EU und Afrika nicht einfach übergangen wurden? Wäre es nicht angebracht gewesen, die Handelsbeziehungen aufzugreifen und zu diskutieren, die in einer tiefen Krise stecken? Gemäß einer AFP-Meldung bezeichnete Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, das Treffen als „Vergebene Chance“. Denn die EU halte an ihrer egoistischen Handels- und Agrarpolitik zulasten des Südens fest.

Über 15 Jahre lang hat die EU-Kommission neue sogenannte Wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen (WPA) mit fünf verschiedenen afrikanischen Regionen ausgehandelt, die 2014 abgeschlossen wurden und sofort dem EU-Parlament zur Ratifizierung vorgelegt wurden. Abgesehen von der Ratifizierung des WPA-Abkommens mit dem südlichen Afrika konnte bis heute kein anderes dieser Abkommen unterschrieben und ratifiziert werden. Nigeria, Mauretanien und Gambia weigerten sich, das mit Westafrika verhandelte Abkommen zu unterzeichnen.

Vor dem EU-Parlament erklärte der nigerianische Präsident Buhari Anfang 2016, das mit Westafrika verhandelte WPA-Abkommen erlaube seinem Land nicht, sich zu industrialisieren. Tansania zog sich aus ähnlichen Gründen aus dem mit Ost-Afrika verhandelten Abkommen zurück.

Bis jetzt beruhten die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Afrika auf dem Prinzip der Nichtreziprozität. Die afrikanischen Länder hatten freien Zugang zu den europäischen Märkten, waren aber nicht genötigt, ihre Märkte den Produkten und Dienstleistungen der EU frei zu öffnen. Dies sollten die WPA nun ändern. Aber bereits jetzt ist die Lage vieler afrikanischer Länder im Zuge der neoliberalen Handelspolitik, die ihnen während Jahrzehnten von den Westmächten über die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds auferlegt wurden, unhaltbar geworden.

So wurde ein Land wie Ghana dazu gebracht, seine Zolltarife für Geflügel auf 20 Prozent herabzusetzen. Resultat: Der Marktanteil Ghanas für dieses Produkt fiel in weniger als drei Jahrzehnten von 100 Prozent auf heute drei Prozent. Die lokale Geflügelindustrie, einst der zweitgrößte Arbeitgeber im Lande, wurde in der Zwischenzeit von den konkurrierenden, oft stark subventionierten Geflügelimporten aus den USA, der EU und Brasilien ausgeschaltet.

Wenn Freihandel Arbeitsplätze vernichtet

Wie vernichtend Freihandel sein kann, zeigt auch der dramatische allgemeine Niedergang der Industrie in Afrika. Gemäß einer 2012 von der ILO und der UNCTAD veröffentlichten Studie verlor Afrika im Zeitraum 1980-2005 bereits 25 Prozent seiner industriellen Arbeitsplätze. Dieser Verlust traf in der Folge insbesondere die Textilindustrie in Afrika, beispielsweise in Senegal, einem Partnerland der luxemburgischen Entwicklungszusammenarbeit, wo diese völlig verschwunden ist.

2005 wurde nämlich das Multifiber-Agreement abgeschafft und der Freihandel für Textilprodukte weltweit eingeführt. 300.000 Nigerianer verloren ihre Arbeitsplätze in der Textilindustrie durch Billigimporte aus China. Eine halbe Million Bauern waren gezwungen, die Baumwollproduktion aufzugeben, die für die einst bestehenden 175 Textilfabriken bestimmt war. Kein Wunder, wenn dann arbeitslose Jugendliche auswandern oder sich von Terrororganisationen wie Boko Haram anziehen lassen. Nigeria erlebt keinen Boom, wie solide Wachstumsraten vortäuschen, sondern einen Abstieg in die Armut.

2015 erarbeitete Concord, die Plattform der europäischen NGOs, ein Gutachten zu dem mit Westafrika abgeschlossenen WPA. Sie kommt dort zur Schlussfolgerung, dass dieses Abkommen der Entwicklung Westafrikas nicht förderlich ist, sondern nur den europäischen Konzernen.

Wann werden die EU und ihre Mitgliedstaaten zusammen mit den afrikanischen Partnern den Mut haben, diese Tatsachen aufzugreifen, zu analysieren und die angebrachten Reformen in die Wege zu leiten?

Günther Nooke, Angela Merkels Afrikaexperte, gehört zu den energischsten Kritikern der mit Afrika vereinbarten WPA-Abkommen.
Was mitten in der Migrationskrise Europa und Afrika hilft, ist die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen, sagt Nooke. „Das kann man aber nur erreichen, indem man den afrikanischen Markt schützt. Afrikanische Produkte sollen hier gemacht werden und frei auf afrikanischen Märkten verkauft werden, ohne gegen eine europäische Konkurrenz ankämpfen zu müssen.“ Günther Nooke zufolge hat der afrikanische Kommissar für Handelsfragen angekündigt, ein Moratorium für alle WPA zu verlangen. „Und das müssen wir respektieren“, sagt der deutsche Afrikaexperte.

Ob Angela Merkel aber diese Position bereits in Abidjan vorgebracht hat, ist nicht bekannt. Unterdessen macht die EU mit der bestehenden Handelspolitik gegenüber Afrika weiter gute Geschäfte. So konnte sie den Wert der Nahrungsmittelexporte nach Westafrika in der Periode zwischen 2000 und 2010 fast verdoppeln und von 1,5 Milliarden Euro auf 2,9 Milliarden erhöhen. Zwischen 2000-2004 und 2013-2016 stieg das Defizit Westafrikas im Nahrungsmittelbereich von 144 Millionen Euro auf 2,1 Milliarden.

Ich hatte die Gelegenheit, mich am 20. November mit einer Delegation unseres „Cercle de coopération des ONGD“ an einem in Hinsicht des Abidjan-Gipfels beantragten Gespräch mit Premierminister Xavier Bettel und Entwicklungsminister Romain Schneider zu beteiligen.
Hier konnte ich für den Cercle diese Thematik vorbringen und beantragen, die Regierung sollte auf eine Ratifizierung der WPA verzichten und sich für eine neue Handels-, Agrar- und Entwicklungspolitik einsetzten, die auf dem Prinzip der Nicht-Reziprozität beruhe und den Schutz von Kleinproduzenten in Afrika erlaube.

Damit wäre auch Schluss mit der Doppelmoral Europas, das seine sensiblen Agrarprodukte (Fleisch, Getreide und Milch) weiter mit hohen Zollsätzen schützt, einen solchen Schutz den viel ärmeren, afrikanischen Kleinproduzenten bisher verweigert. Man darf gespannt sein, ob sich Minister Romain Schneider bei seiner nächsten Rede über Entwicklungspolitik zu dieser Frage äußern wird.

Jean Feyder

„SOS Faim“- und ASTM-Verwaltungsratsmitglied