Antikrieg – Oder: Sag mir, wo die Blumen sind …

Antikrieg – Oder: Sag mir, wo die Blumen sind …
Pete Seeger

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Als nächstes wird der Staatsmann billige Lügen erfinden, die die Schuld
der angegriffenen Nation zuschieben, und jeder Mensch wird glücklich sein über
diese Täuschungen, die das Gewissen beruhigen. Er wird sie eingehend studieren und sich weigern, Argumente der anderen Seite zu prüfen. So wird er sich Schritt für Schritt selbst davon überzeugen, dass der Krieg gerecht ist und (…) nach diesem Prozess grotesker Selbsttäuschung besser schlafen können.

Mark Twain – Der geheimnisvolle Fremde

Konflikte schüren, Waffen liefern, Kriege anzetteln. Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien. Die aktuellen Brennpunkte. Aber auch Bürgerkriege und – heuer aktuell – Drogenkriege. Kriege verursachen weltweit millionenfaches Leid und Sterben. Soziale Ungleichheit, politisches Unvermögen sowie kulturelle und religiöse Unterdrückung, Gier und Korruption sind ihre Ursachen. Ihre Beseitigung ist die notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Friedenspolitik. Naives Wunschdenken, denn erleben werden wir dies wohl nie …

Von Frank Bertemes

Um dieses Reizthema als nachdenkliche Sommerlektüre rein menschlich gesehen zu betrachten – und ohne die Entgleisungen eines Donald Trump ob seiner irrsinnigen und glücklicherweise ohne Folgen bleibenden Forderungen an die NATO-Bündnispartner, deren Militärausgaben unter 2 % ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, gefälligst eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 4% der Wirtschaftsleistung vorzunehmen, weiter zu kommentieren – sei an dieser Stelle unserer Zeitung ausnahmsweise mal eine Lied-Analyse bemüht.

Ein Lied, das sich in diesem Kontext förmlich anbietet, und zwar eines der wohl eindrücklichsten Antikriegslieder. „Sag mir, wo die Blumen sind“ (englischer Titel: „Where Have All the Flowers Gone?“) – eigentlich ein Kettenlied: Blumen-Mädchen-Männer-Soldaten-Gräber-Blumen. Das Lied läuft wieder in sich zurück, so dass es quasi immer weitergesungen werden könnte.

Lied der Friedensbewegung

Dieses weltbekannte Antikriegslied gilt als das Lied der Friedensbewegung.
Pete Seeger hatte 1955/56 den englischen Text, angeblich angeregt durch Sholochovs Roman „Der stille Don“, oder auch durch ein ukrainisches Volkslied, wie andere Quellen sagen, gedichtet und vertont. Max Colpet schuf 1962 die deutsche Fassung. Beide Versionen wurden besonders durch die Interpretationen Marlene Dietrichs (dazu noch eine Abschlussbemerkung zum Text) weltweit bekannt. Tatsächlich sind die Verse wohl durch mündliche Volksliedtradition beeinflusst, denn in diese waren Strophen Georg Jacobis aus dem Jahr 1782 („Nach einem alten Liede“) übergegangen: „Sagt, wo sind die Veilchen hin … Sagt, wo sind die Rosen hin … Sagt, wo ist das Mädchen hin … Sagt, wo ist der Sänger hin … Mädchen, unser Leben flieht; auch der Sänger ist verblüht.“

Die Besonderheit des Liedes liegt in seinem Text, der in jeder Strophe wiederkehrende Elemente enthält. Die Strophen beginnen stets mit „Sag mir, wo … sind“ und geben noch in derselben Strophe die Antwort über den Verbleib. Die Strophen enden alle mit einem wiederholten „Wann wird man je verstehn …“

Strophe 1: „Sag mir, wo die Blumen sind. Wo sind sie geblieben? Sag mir, wo die Blumen sind. Was ist geschehn? Sag mir, wo die Blumen sind. Mädchen pflückten sie geschwind. Wann wird man je verstehn, wann wir man je verstehn?“ In dieser einführenden Strophe wird die Frage nach dem Verbleib der Blumen gestellt, gleichzeitig auch der Titel des Liedes. Die Blumen wurden von Mädchen gepflückt, also sinngemäß „zerstört“. Akt eins der Emotionen, die dieses Lied auslöst …

Strophe 2: „Sag mir, wo die Mädchen sind. Wo sind sie geblieben? Sag mir, wo die Mädchen sind. Was ist geschehn? Sag mir, wo die Mädchen sind. Männer nahmen sie geschwind. Wann wird man je verstehn, wann wird man je verstehn?“ In der zweiten Strophe geht es um den Verbleib der Mädchen. Sie wurden, wie früher üblich, bereits in jungen Jahren „geschwind“ von Männern zur Frau genommen. Dies stellt das abrupte Ende der Kindheit dieser Mädchen dar.

Strophe 3: „Sag mir, wo die Männer sind. Wo sind sie geblieben? Sag mir, wo die Männer sind. Was ist geschehn? Sag mir, wo die Männer sind. Zogen fort, der Krieg beginnt. Wann wird man je verstehn, wann wird man je verstehn?“ In der dritten Strophe des Liedes verschwinden also die Männer, die aufgrund des beginnenden Krieges als Soldaten zur Armee gingen und die „treu“ für ihr Vaterland gekämpft haben. Im Sinne von Heinrich Bölls Kurzgeschichte „Wanderer, kommst du nach Spa …“ ( Textpassage einer griechischen Vorlage in der Übersetzung Schillers): „Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest / uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“

In der folgenden vierten Strophe wird dies noch einmal deutlich gemacht und wie man anhand der bisherigen Strophen bereits erahnen kann, werden auch die Soldaten verschwinden. Sie sind noch im Krieg und viele dort sind gefallen und werden nie mehr zu Ihren Frauen und Kindern zurückkehren … Strophe 4: „Sag mir, wo die Soldaten sind. Wo sind sie geblieben? Sag mir, wo die Soldaten sind. Was ist geschehn? Sag mir, wo die Soldaten sind. Über Gräbern weht der Wind. Wann wird man je verstehn, wann wird man je verstehn?“

Absolute Sinnlosigkeit

Die absolute Sinnlosigkeit wird klar angedeutet. In Strophe 5 wird explizit auf die im Krieg gefallenen Soldaten eingegangen, da von ihren Gräbern gesprochen wird: Text der Strophe 5: „Sag mir, wo die Gräber sind. Wo sind sie geblieben? Sag mir, wo die Gräber sind. Was ist geschehn? Sag mir, wo die Gräber sind. Blumen wehn im Sommerwind. Wann wird man je verstehn, wann wird man je verstehn?“ In dieser Strophe sind die Gräber verschwunden.

Dies bedeutet, dass viele Jahre vergangen sind und neue Blumen blühen, also neue Hoffnung auf Frieden besteht, da der Krieg lange her ist. Mit dieser Strophe, mit der das Lied eigentlich auch enden könnte, wollte der Verfasser des Liedtextes offensichtlich noch eine Mahnung einfügen, die Fehler der Vergangenheit, die zu einem Krieg führten, nicht zu wiederholen.

Abschließend dann Strophe 6. In dieser wird, wie in der ersten, nach dem Verbleib der Blumen gefragt. Diese sind auf die gleiche Art und Weise verschwunden wie in der ersten Strophe. Dies lässt darauf schließen – und wen kann das schon verwundern –, dass die Fehler der Vergangenheit bereits erneut begangen worden sind: „Sag mir, wo die Blumen sind. Wo sind sie geblieben? Sag mir, wo die Blumen sind. Was ist geschehn? Sag mir, wo die Blumen sind. Mädchen pflückten sie geschwind. Wann wird man je verstehn, wann wird man je verstehn?“

Die wiederholte Frage „Wann wird man je verstehn?“ verbunden mit der aus der Sicht des Schreibers dieser Zeilen aufgeworfenen, ja fast schon verzweifelten Abschlussfrage, der eigentlichen Botschaft dieses Beitrags: Ach wird man je verstehn, ob die Menschheit überhaupt jemals fähig sein kann, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen? Wohl kaum …

Vielen Interpreten merkte man bei ihren Live-Auftritten an, wie schwer es ihnen fiel, das Lied „Sag mir, wo die Blumen sind“ zu singen. Besonders bekannt war Marlene Dietrichs Auftritt anlässlich der Unicef-Gala im Jahr 1962 in Düsseldorf, als sie bei der Abschlussfrage „Ach wird man je verstehn?“ den Tränen nahe war …

roger wohlfart
31. Juli 2018 - 15.49

Kann Ihnen nur zustimmen, Herr Zeyen. Diese verrückte Welt ist nicht zu verstehn. Waren es früher die Blumenkinder oder die 68 er, die rebellierten und sich gegen das Establishment erhoben, so herrscht heute totale Funkstille. Es ist als ob die Menschheit sich selbst aufgegeben hätte. Ist diese Welt überhaupt noch zu retten? Ab wann ist scheinbar alles aus dem Ruder gelaufen? Wo bleiben die Visionäre, die Hoffnungsträger? Kirche und Politik haben auf der ganzen Linie versagt. Wenn der schnöde Mammon das einzige ist, was zählt muss man sich nicht wundern, wo wir gelandet sind.

Jacques Zeyen
31. Juli 2018 - 9.10

Richtig. Es gibt noch ein Lied,diesmal von Wolf Biermann:" Ach Mutter mach die Türe zu Da kommen tausend Ratten Die hungrigen sind vorneweg Dahinter sind die satten." Es ist die Gier und es sind die Religionen die unsere Kinder in den Krieg schicken. Wann wird man je verstehn-warum heute noch Menschen mit Fahnen am Straßenrand stehen wenn ein "gekröntes" Haupt sich,par la grâce de dieu" die Ehre gibt und wohlwollend winkt? Ob König,Papst oder Fürst-es sind und waren diese Gestalten die die Söhne des Volkes in die Schlacht schicken. Not und Bildungsmangel(man halte das Volk doof) tun dann den Rest. Lieb Vaterland magst ruhig sein... "was soll aus uns noch werden, es herrscht so große Not, aus dem Himmel auf die Erden fallen sich die Engel tot."