/ Falsches Spiel

Weil der sich bis vor kurzem noch hartnäckig weigerte, die vom Premierminister seit Jahren geforderten Rentenverschlechterungen einzuleiten, soll die EU-Kommission jetzt von Luxemburg zusätzliche Einsparungen verlangen.
Léon Marx
lmarx@tageblatt.lu
Just dem Mitgliedsland, dem Musterland, das als einziges nach der Krise 2008 weder die Defizit- noch die jährliche Neuverschuldungsquote gerissen hat, habe Europa eine Spezialbehandlung verschrieben, behauptete Finanzminister Luc Frieden am Freitag ungeniert vor den Mitgliedern der parlamentarischen Budgetkontrollkommission. Via Pressekonferenz hatte er zuvor bereits versucht, das Wahlvolk davon zu überzeugen, dass es den Gürtel trotz hervorragender Finanzzahlen noch enger schnallen müsse.
Spezialbehandlung? Plus 0,5 Prozent des BIP im gesamtstaatlichen Budget? Hat da jemand über Nacht den europäischen Vertragsrahmen aus den Angeln gehoben?
Wie viele Stoßgebete und „Vater unser“ es wohl bei der anstehenden Oktavbeichte braucht, um sich von solch gesellschaftszersetzenden Sünden – man könnte es auch weniger nett ausdrücken – freizukaufen?
Um über die eigene Unfähigkeit hinwegzutäuschen und im Spiel mit den falschen Zahlen bis zum bitteren Ende weiterzumachen, sind dem selbsternannten CSV-Finanzexperten offenbar alle Mittel recht.
Sogar das luxemburgische Sozialmodell würde Frieden zur Rettung des eigenen Egos den Bach runtergehen lassen. Anders lässt sich der Auftritt am Freitag, zwei Tage vor den 1.-Mai-Veranstaltungen der Gewerkschaften, nicht interpretieren.
OGBL-Nationalpräsident Jean-Claude Reding hatte bereits bei der Vorfeier des freien Gewerkschaftsbundes am Donnerstag in Wiltz auf die positive Entwicklung der Staatsfinanzen hingewiesen und eine Rücknahme der Krisensteuer und anderer unsozialer Maßnahmen gefordert, mit denen die Regierung seit Anfang des Jahres zu einer Umverteilung von unten nach oben angesetzt hat.
Sparen fürs Patronat …?
Wie richtig er mit seinen Aussagen lag, bestätigte am Samstag auf RTL der Generalsekretär der Staatsbeamtengewerkschaft CGFP. Nachdem die Einnahmen 2010 um eine Milliarde über der Budgetprognose lagen, entwickelt sich das laufende Jahr ähnlich dynamisch. Die schwarze Null bei den Staatsfinanzen, die für Ende 2014 anvisiert war, wird bereits Ende 2011 auf der Tafel stehen, ist Romain Wolff überzeugt.
Alles, was über dieses Ziel hinausgeht, ein nach oben frisiertes Ziel von plus 0,5 Prozent des BIP bei den Einnahmen und ein damit begründetes, zweites Austeritätsprogramm ab 2012, dient nicht der Sanierung der Staatsfinanzen. Es ist reine Umverteilung des erwirtschafteten Mehrwerts zugunsten des Patronats. Ernst Wilhelm Contzen und Michel Wurth von der UEL können sich ins Fäustchen lachen. Die nächsten, staatlich abgesicherten Boni sind zum Greifen nah. Vorausgesetzt, die Regierung überlebt dieses Pokerspiel.
Der „Ras-le-bol“ bei den Mitgliedern sei groß, unterstreicht Jean-Claude Reding vom OGBL. Er schließt eine ähnliche Massenkundgebung wie am 16. Mai 2009 nicht aus. Dem Landesverband ist der Index einen Streik wert, warnt Präsident Guy Greivelding.
Selbst der LCGB, die vom Abgeordneten Robert Weber angeführte Hausgewerkschaft der CSV, will das falsche Spiel der Regierung nicht mehr mitmachen. Die Drohung eines Generalstreiks bei der Kundgebung am Sonntag zeigt mit bislang nie gekannter Deutlichkeit, wie es hinter der Fassade der christlich-sozialen „Volkspartei“ brodelt.
Ob es einem wirtschaftsliberalen Fraktionschef Lucien Thiel gelingen wird, die Kritiker aus Caritas- und LCGB-Kreisen nach Schiltz’scher Art nochmals auf den eingeschlagenen, salariatsfeindlichen, asozialen Kurs des Finanzministers einzuschwören, ist derzeit alles andere als sicher.
Statt zu buckeln, sollte sich die LSAP – wann, wenn nicht jetzt? – auf ihren sozialen Auftrag in dieser Koalition besinnen. Bevor sie am Ende von einer innerlich geläuterten CSV links überholt wird.
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