Europas edle Lügen

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Griechenland wurde am Montag wieder einmal nicht „gerettet“. (Die Euro-Finanzminister einigten sich am frühen Dienstagmorgen nach Redaktionsschluss). Aber es ist durchaus möglich, dass es diesmal der letzte Rettungsgipfel war, der das Land vorübergehend „retten“ sollte, ehe Athen eine Umschuldung erzwingt und somit eher kurz- als langfristig die Eurozone verlassen wird.

Eine Zahlungsunfähigkeit des Landes hätte längst keine katastrophalen Auswirkungen mehr. Die Banken würden es mittlerweile verkraften. Sie hatten mindestens zwei Jahre Zeit, um einen Ausfall Hellas’ durchzurechnen und entsprechende Rücklagen zu bilden. Diese Zeit wurde durchaus genutzt. Es würde sowieso nicht das Ende der Eurozone bedeuten. Europas Entscheider sind gerade dabei, dies den Europäern beizubringen und ihren Diskurs um 180 Grad zu wenden, so z.B. Luc Frieden vor einigen Tagen in Washington oder gestern der italienische Zentralbankchef Fabrizio Saccomanni.
Am Freitag hat Europas Zentralbank zudem ihre Griechenland-Anleihen gegen neue Anleihen zu den gleichen Konditionen, aber mit anderer Kennnummer eingetauscht. Damit entgeht die EZB jeglichem Verlust bei einer erzwungenen Umschuldung. Dieser Schritt, der einerseits die Risikoprämien der anderen Krisenländer in die Höhe treiben könnte, deutet andererseits auch darauf hin, dass man, aller öffentlichen Bekenntnis zur Rettung Griechenlands zum Trotz, nicht mehr sonderlich darauf hofft, dass Athen es schaffen kann, in der Eurozone zu bleiben.

Sascha Bremer
sbremer@tageblatt.lu

Warum also dann überhaupt ein neuerliches Rettungspaket aufstellen? Diese Investition in Höhe von 130 Milliarden Euro – sofern sie denn tatsächlich fließen werden – ist sicherlich keine, die auf Rückzahlung, geschweige denn auf Gewinn zielt. Das Geld, das eh zur Schuldentilgung dient, also größtenteils an die Banken geht, dient letztlich wie die vorherigen Überweisungen dazu, Zeit zu schinden.

Man tut zwar immer noch so, als ob Griechenland gerettet werden könnte, aber was heißt das eigentlich? Die Schulden des Landes könnten durchaus alle getilgt werden, der Schuldenstand auf null gesetzt werden. Aber die Schulden sind ja tatsächlich nur die Konsequenzen inhärenter Probleme des Landes, die kaum bis gar nicht gelöst worden sind und nicht einmal im Begriff sind, dies zu werden. Eine vernünftige Etatpolitik wird Griechenland noch lange nicht aufstellen können. Athen wird auch in naher Zukunft nicht fähig sein, das Geld aufzutreiben, das es benötigt, um seine Ausgaben zu decken.

Nicht mit dieser desolaten Wirtschaftssituation, nicht mit den bevorstehenden Massenentlassungen, nicht mit dem einsetzenden Braindrain, nicht mit dieser Zahlungsmoral, nicht mit der politischen Kaste … die Liste ist lang. Griechenland ist deshalb – und Europas Politiker werden dies irgendwann einmal auch zugeben – ein „failed state“. Die Hellenen werden sich letztlich durch das einst europaweit erstellte Untergangsszenario der Bankrotterklärung retten müssen. In der Tat wird es ein Untergangsszenario für viele Griechen sein, jedoch nicht (mehr) für den Rest Europas. Aber noch ist der Moment nicht gekommen. Jedenfalls noch nicht, solange Griechenland als „idiot utile“, als abschreckendes Beispiel, ja als Ablenkung von der Situation in Italien, Spanien usw. fungieren kann, damit Europa „gestärkt“ aus der Krise hervorgeht. Wenn, wie laut einer IFOP-Umfrage der letzten Woche, 50 Prozent der Franzosen der Meinung sind, ihrem Land blühe dasselbe Schicksal wie den Hellenen, dann herrscht ein vorzüglicher Nährboden, um endlich all die schönen „Reformen“, die man in den vergangenen beiden Jahrzehnten nicht gegen das Volk durchgesetzt bekam, nun endlich auf den Weg zu bringen. Europa ist heute z.B. einer gemeinsamen (Wirtschafts-)Regierung viel näher als noch zu Zeiten der Ausarbeitung der Verfassung. Diese wollten die Bürger in Frankreich und in den Niederlanden ja bekanntlich nicht.

Schönes neues Europa

„Wenn es ernst wird, muss man lügen“, soll vor einem Jahr Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker, in der Tradition des Philosophen Plato und seiner „edlen Lüge“ als Garant der Staatsräson, einmal gesagt haben. Und Europa meint es diesmal verdammt ernst mit einer weitergehenden tieferen Integration, um in der noch brutaleren Welt von morgen bestehen zu können, in der Länder wie China, Indien und Brasilien unserem Kontinent den Rang ablaufen werden. Zum Wohle der Europäer, ob sie wollen oder nicht.

Dies dürfte einem mittlerweile bekannt vorkommen und müsste eigentlich das Motto des schönen neuen Europas sein, in das wir hineinschlittern.