Es gibt keinen „Erbfeind“

Es gibt keinen „Erbfeind“
(dpa/Symbolbild)

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In der zwischen Indien und Pakistan umstrittenen Kaschmirregion sind Hunderttausende von Menschen durch katastrophale Unwetter aus ihren Behausungen vertrieben worden.

Indien bietet nun den von dieser Situation überforderten (welche Nation wäre das angesichts einer Flut von diesen Ausmaßen nicht) Nachbarn Hilfe an.
Dieses Angebot könnte zu einer Annäherung zwischen den Erbfeinden beitragen.

Es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass Nationen, die in einer unentrinnbaren Konfliktsituation gefangen zu sein scheinen, durch die Naturgewalten zum Dialog sozusagen genötigt werden.

Griechenland und die Türkei werden regelmäßig von schweren Erdbeben heimgesucht. Und es war mehrmals die praktisch unter Beweis gestellte Solidarität für die Opfer, die den beiden „Erbfeinden“ am östlichen Mittelmeer vor Augen führte, dass nichts zwei Völker dazu prädestiniert, auf all ewige Zeiten durch Hass und Missgunst entzweit zu bleiben.

Die richtigen Lektionen

Es ist schon erstaunlich, dass es ab und an entfesselter Naturgewalten bedarf, um zwei ethnischen Gemeinschaften deutlich zu machen, dass die „Anderen“ halt keine Monster sind, sondern Menschen, die um keinen Deut schlechter und weniger zivilisiert als die eigene Ethnie sind.

In unseren Breiten waren es unsere französischen und deutschen Nachbarn, die sich spätestens seit den napoleonischen Kriegen als sozusagen „geborene“ Feinde wähnten.

Hier bedurfte es nicht einer Naturkatastrophe, sondern der menschengemachten Katastrophen zweier Weltkriege, um beiden Seiten vor Augen zu führen, dass auf Dauer das Leben nicht lebenswert sein kann, wenn zwei Nachbarn alle paar Jahrzehnte zu den Waffen greifen und den Reichtum, den sie in der Zwischenkriegszeit im Schweiße ihres Angesichts angehäuft haben, restlos zu Klump schlagen. Ganz zu schweigen von der völlig hirnlosen und barbarischen Auslöschung von Millionen von Menschenleben.

Leider scheint die Idee der Erbfeindschaft auch im gegenwärtigen Ukraine-Konflikt wieder fröhlich Urständ zu feiern. Für die russische Propaganda sind die Ukrainer allesamt Faschisten, die dort weitermachen wollen, wo einst Hitler Einhalt geboten wurde.

Doch auch bei den NATO-Hardlinern heben uralte Propaganda-Klischees wieder ihr hässliches Haupt. Dem „asiatischen“ Russen werden mal wieder (nämlich wie schon zu Zeiten des Bolschewismus) grenzenlose Eroberungsgelüste unterstellt.

Es ist sehr schwer, aus der Geschichte die richtigen Lektionen zu ziehen. Doch sollten wir aufgrund deren mittlerweile doch schon gelernt haben, welches Unheil wir dadurch anrichten können, indem wir zulasten anderer Völker, und im vorliegenden Falle der russischen Europäer, Feindbilder aufbauen und kultivieren

Francis Wagner
fwagner@tageblatt.lu