Entkernte Demokratie

Entkernte Demokratie

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Was verbindet Begriffe wie: Finanzmärkte, Ratingagenturen, Davos, EU-Semester, Massenarbeitslosigkeit, Überschuldung, Flüchtlingswellen, Ukraine-Krieg, Griechenland-Krise, Troika, Mega-Renditen, Superreiche, Steuerhinterziehung, Geschichtsfälschung, Kommunikatoren, Nachrichtenschwemme, Konsum-Wahn, Armut, Desolidarisierung (die Liste könnte um tausend Worte „bereichert“ werden)?

Alvin Sold asold@tageblatt.lu

Sie alle lassen sich leicht mit einem unannehmbaren Vorgang verbinden, den wir als Entkernung der Demokratie denunzieren möchten.

In der Baubranche ist die Entkernung geläufig. Man rettet die Fassade, restauriert sie sogar, damit sie aussehe wie zur Gründerzeit und dem Betrachter die Illusion der Dauerhaftigkeit vermittle. Aber dahinter, hinter der Fassade, entstand anderes, eine neue Ordnung im Sinne des Eigentümers, ob Einzelperson oder Gesellschaft. Eine vernünftige Praxis in vielen Fällen.

Auf die Politik bezogen, könnte von der Entkernung einer Partei die Rede sein, wenn sie unter dem alten, traditionsreichen Namen auftritt, der, beispielsweise, Sozialdemokratie verheißt, während in Wirklichkeit Sozialabbau betrieben wird, wie etwa Labour unter Tony Blair.

Wir möchten die ungemein schlimmere Hypothese der Entkernung der Demokratie in der westlichen Welt, aber insbesondere in Europa
und folglich in Luxemburg zur Debatte stellen,
als Folge der schleichenden Ausschaltung des Wählers aus den wichtigen Entscheidungsprozessen.

Seit der vom Kasinokapitalismus entfesselten Finanzkrise maßen sich Ratingagenturen und Finanzmärkte das Recht an, Staaten und deren Bevölkerung nach ihren Ertrags- und Sicherheitskriterien zu beurteilen und eigenmächtig zu bestrafen, wenn nötig mit politischer Assistenz, via Budgetprüfung und -verwerfung im EU-Semester oder Troika.

Am Umgang mit Griechenland, wo Millionen Menschen leiden, weil die Regierungen und die Oligarchen Betrüger waren, wird ersichtlich, zu welcher Perversität die weitgehend entkernte Demokratie EU-Europa fähig ist.

Entkernt ist die Demokratie, wenn über alle Köpfe hinweg, ohne jede Befragung der Wähler, parteiisch in politische und militärische Wirren eingegriffen wird, wie gegenwärtig in der Ukraine: Wer gab der EU dazu ein Mandat?

Entkernung der Demokratie ist die Folge einer Politik, die sich nach den Vorstellungen, Wünschen, Forderungen der Superreichen richtet, welche eine weitestgehend deregulierte Marktwirtschaft wollen, mit den niedrigsten Lohn- und Lohnnebenkosten. Unter Barroso war die EU klar auf diesem Kurs, und Juncker hat noch kein ernsthaftes Signal zur Wende gegeben.

Indem sie die Nachrichtenschwemme fördern, welche das Wichtige im Unwichtigen ersäuft, allzu oft den Kommunikatoren aus Politik und überhaupt der „offiziellen“ Information zu wenig kritisch gegenüberstehen, beteiligen sich die Medien ungewollt an der Entkernung der Demokratie, deren tragendes Element sie sein sollten.

Das geben die Medienmacher nicht gerne zu. Wie sie auch nicht gerne sagen, dass sie bessere Zeitungen, Zeitschriften und bessere Websites anbieten könnten, wenn der Kunde bereit wäre, dafür (mehr) zu bezahlen.