Enkel eines Sklaven

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In diesem Sommer wäre er 100 Jahre alt geworden, der mit Muhammad Ali wohl bedeutendste Sportler der USA. Während Ali aktiv in das politische Geschehen seines Landes eingriff, beschränkte sich Jesse Owens’ Rolle auf die des Athleten.

Die Wirkung seiner Erfolge hatte allerdings einen ähnlichen Einfluss wie Alis Engagement außerhalb des Boxrings. In Zeiten der Weltwirtschaftskrise und strikten Rassentrennung aufgewachsen, war das unglaubliche Talent Owens’ spätestens nach dem 25. Mai 1935 weltweit anerkannt. An diesem Tag stellte Owens bei den sogenannten „Big 10“-Meisterschaften in vier Wettbewerben sechs Weltrekorde auf bzw. ein. Die schwarzen Teilnehmer der Wettbewerbe waren in einem schäbigen Hotel untergebracht, durften nicht wie die weißen Athleten auf dem Campus übernachten.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu

Trotz seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten hatte Owens an der Ohio-Universität nur ein kleines Stipendium erhalten und musste seine Familie mit Gelegenheitsjobs unterstützen.

Als Favorit reiste Owens 1936 zu den Olympischen Spielen nach Berlin. Die Spiele, die Adolf Hitler dazu auserkoren hatte, der Welt die Übermacht der „arischen Rasse“ zu demonstrieren. Gefeierter Star der Propagandaspiele wurde aber ausgerechnet Jesse Owens, der zuvor von den Nazis als „schwarzer Untermensch“ empfangen worden war. Vier Goldmedaillen gewann der Enkel eines Sklaven in Berlin. Zudem verbrüderte er sich mit dem Deutschen Luz Long, seinem „arischen“ Rivalen im Weitsprung. Unvergessen die Bilder, wie Owens und Long Arm in Arm das Olympiastadion nach der Siegerehrung verließen. Und das vor den Augen des Führers. Owens hatte das Nazi-Regime der Lächerlichkeit preisgegeben. Denn es war die individuelle Klasse eines Athleten und nicht etwa seine Rasse oder Herkunft, die über Sieg und Niederlage entschied.

Realität

Zurück in den Staaten holte Owens die Realität schnell wieder ein. Der „Held von Berlin“ wurde nicht im Weißen Haus empfangen, da Präsident Roosevelt mitten im Wahlkampf steckte und die Gunst der (weißen) Wählerschaft nicht aufs Spiel setzen wollte.

Seinen Lebensunterhalt verdiente Owens eher schlecht als recht, er musste zu Showrennen gegen Pferde antreten. Erst als er Mitte der 1950er-Jahre von Präsident Eisenhower zum Sportbotschafter ernannt wurde, verbesserte sich seine persönliche Situation. Selbst posthum blieb ihm eine angemessene Wertschätzung lange verwehrt. Jahrzehntelang blockierte eine weiße Bürgerbewegung den Bau einer Gedenkstätte in Owens’ Heimatort.

Zum Zeitpunkt des „Marsches auf die Hauptstadt“ mit Martin Luther Kings legendärer „I Have a Dream“-Rede war Owens 50 Jahre alt und zumindest in Sachen Rassismus nach seinen vielen schlechten Erfahrungen recht desillusioniert. Auch sein Kommentar zur „Black Panther“-Faust von Tommie Smith und John Carlos bei den Olympischen Spielen 1968 fiel nüchtern aus: „Die schwarze Faust ist ein bedeutungsloses Symbol“, sagte Owens, „wenn man sie aufmacht, bleiben nur noch Finger. Schwache und leere Finger. Eine schwarze Faust hat nur dann Bedeutung, wenn Geld in ihr ist. Dort liegt die Macht.“

Eine Erkenntnis, die wohl heute mehr denn je Gültigkeit besitzt. Zwar sind die Zeiten der Rassentrennung glücklicherweise lange vorbei, doch die Diskriminierung von Minderheiten, besonders von Afroamerikanern, ist in den USA nach wie vor allgegenwärtig.

Ein Paradebeispiel für die Macht des Sports ist Jesse Owens genau wie Muhammad Ali aber allemal, selbst wenn er nie vorhatte, zu einem Symbol gegen Rassismus zu werden.