/ Ein Spiegelbild
Kein leichtes Unterfangen, wenn man bedenkt, was tagtäglich auf unseren Straßen los ist und wie schwer – um nicht zu sagen fast unmöglich – es ist, alle Verkehrsteilnehmer auf die zahlreichen Gefahren hin zu sensibilisieren. Viele gut gemeinte Ratschläge erreichen wohl die Masse der Leute, aber leider allzu selten die graue Masse eines jeden Einzelnen.
Ohne Blinker abbiegen ist zum Kavaliersdelikt mutiert; hohe Geschwindigkeiten sind anscheinend „cool“; Fahren ohne Führerschein, wen juckt das schon; alkoholisiert hinterm Lenkrad, halb so schlimm; bei Rot über die Ampel, keiner hat’s gesehen; Gurt nicht angelegt, stört ja nur; mit dem Mobiltelefon am Ohr trotz Verbots, das sieht ja auch keiner; gefährliche Überholmanöver, das setzt halt ein bisschen Adrenalin frei; mit 80 km/h durch die Ortschaft, die anderen können ja Acht geben; das Missachten des Stoppschilds ist zum Volkssport geworden; Vorfahrt überlassen, was bitte ist denn das? …
Bei alledem muss man die Arbeit, die die „Sécurité routière“ seit einem halben Jahrhundert im Sinne von mehr Sicherheit auf den Straßen verrichtet, schon fast mit einem Kampf gegen Windmühlen vergleichen. Die unzähligen Aktionen und Kampagnen tragen wohl ihre Früchte, doch …
Egoismus, Rücksichtslosigkeit …
Das Benehmen, das viele Verkehrsteilnehmer heute auf der Straße an den Tag legen, spiegelt eigentlich nur das wider, was in unserer Gesellschaft allgemein vorherrscht. Das Bild wird von Egoismus, Konkurrenzdenken, Kampf, Rücksichtslosigkeit und Machtgier geprägt.
Ein weiteres Zeichen unserer Zeit ist die verstärkte Tendenz zum Individualismus. Heute neigen immer mehr Menschen dazu, nur für sich selbst zu sorgen und sich in ihrem kleinen, privaten Lebensbereich ihre eigene Welt aufzubauen. Frei zu sein, sich etwas leisten zu können und das eigene Leben selbst bestimmen zu können, gilt als hohes Gut.
Viele sorgen rücksichtslos dafür, dass sie das bekommen, was sie gerade wollen. Dabei ist ihnen egal, ob andere dafür zurückstecken müssen. Ob an der Kasse im Supermarkt, ob auf dem schmalen Bürgersteig oder etwa in der Warteschlange am Kinoeingang, überall, wo es nur geht, wird um Zentimeter gekämpft. Die eigenen Bedürfnisse werden befriedigt, während die der anderen übergangen werden.
Die Motive für egoistisches Verhalten sind zahlreich. Hinter übermäßigem Ellenbogen-Einsatz verbergen sich oft große Minderwertigkeitsgefühle.
Die Egoisten haben die Einstellung: Ich brauche unbedingt dieses und jenes, sonst bin ich nichts wert. Um das zu erreichen, was sie meinen, erreichen zu müssen, gehen sie rücksichtslos vor.
„Schlechtes Benehmen halten die Leute doch nur deswegen für eine Art Vorrecht, weil keiner ihnen aufs Maul haut“, sagte einst Klaus Kinsky.
Schlechtes, rüpelhaftes, rücksichtsloses Benehmen gehört heutzutage anscheinend zum guten Ton. Jeder denkt nur an sich, es werden Menschen gemobbt, hinter ihrem Rücken wird gelästert, unschuldige Menschen werden angepöbelt usw.
Rücksicht ist aus der Mode gekommen und wird von den Eltern nicht mehr gelehrt. Stattdessen heißt es: Setz Dich durch, lass Dir nichts gefallen! Auch die Ratgeberbücher strotzen vor „Zeit für sich nehmen“, „an sich selber denken“, „nein sagen lernen“ usw., usf. Von all den „Tschakka“-Seminaren zum Thema „Durchsetzen und Manager werden“ ganz zu schweigen.
Roger Infalt
rinfalt@tageblatt.lu
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