Ein Detail übersehen

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Von Wahlen und Versprechen zur Reform der EU

Vor und nach jeder Wahl in Europa klingen die Forderungen immer gleich: Die EU muss reformiert werden. Ob damit linke oder rechte Ideen gemeint sind, spielt zunächst keine Rolle. Denn die Reformeifrigen verbindet vor allem eins: Sie versprechen Reformen, die ohne Strukturwandel der EU unmöglich sind.

Dass Politiker jedoch mit solchen stumpfen Phrasen und Versprechen bei Wahlen davonkommen, liegt nicht zuletzt daran, dass die Europäische Union in ihrem institutionellen Aufbau von vielen Menschen nicht verstanden wird. Das floskelhafte „Brüssel“ steht für … ja, für was eigentlich? Das weiß niemand so recht. Und genau hier beginnen die eigentlichen Probleme, die so ziemlich jeder Politiker, der nicht politischen Selbstmord begehen will, kaum ansprechen wird.

Denn es ist wahrlich unsexy, die Trennschärfe zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und Rat der Europäischen Union in griffige 140-Zeichen-Tweets zu packen.

Und es ist noch unsexyer, wenn man den Menschen erklären will – zumindest jenen, denen die EU zu neoliberal oder undemokratisch ist –, dass sie sich das Blaue vom Himmel wünschen können, jedoch nichts passiert, solange die EU nicht in ihrer institutionellen Funktionsweise reformiert wird.

Denn es besteht kein Zweifel daran, dass die EU den Nationalstaaten im Rat eine unverhältnismäßige Dominanz zuspricht. EU-Kommission und -Parlament sind zwar dabei, sich zu emanzipieren, allerdings steht und fällt alles mit dem Einverständnis der Nationalstaaten sprich ihren Regierungen.

Demnach kann auch ein Emmanuel Macron mit der Europahymne nach seinem Wahlsieg medienwirksam vor die Kameras treten und in Anwesenheit von Angela Merkel eine Politik fordern, die Resultate liefert – all dies ist nur PR, solange die Nationalstaaten das Sagen in der EU behalten.

Denn in den meisten Fragen setzen sich Schwergewichte wie Deutschland durch oder aber Länder, die mit ihrer Nischenpolitik zu punkten versuchen. Auch Luxemburg muss deshalb mit einer schizophrenen Grundhaltung auf dem europäischen Parkett auftreten: EU-Gründungsmitglied und europäischer Musterschüler, gleichzeitig aber auch Meister der obszönen Steuervorteile für Unternehmen. Ein Businessmodell, das hierzulande von vielen Zeitgenossen stillschweigend hingenommen oder verteidigt wird.

Insofern sollte spätestens nach der Bundestagswahl im Herbst eine ernsthafte Diskussion über den Aufbau einer sozialen EU erlaubt sein. Denn seitdem das Referendum 2005 über die Verfassung der EU scheiterte, später aber per Lissabonner Vertrag durchgeboxt wurde, schrecken die etablierten Politiker vor der sozialen Frage zurück. „Bloß keine institutionellen Diskussionen in diesen Krisenzeiten.“ Diese Vogel-Strauß-Politik ist jedoch grundlegend falsch.

Denn Europa kann sich nur mit großer Mühe aus seinem dauerhaften Krisenzustand bewegen, weil es eben nicht über den institutionellen Kitt verfügt, den es bräuchte. Solange jedoch Paris und Berlin mit Blick auf Steuerfragen und den möglicherweise föderalen Charakter der EU entgegengesetzte Ansichten vertreten, wird sich rein gar nichts verändern.