Zuhören, überzeugen

Zuhören, überzeugen
(Alain Rischard/editpress)

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Gesellschaftlicher Spaltung entgegenwirken

Und all das fand in einem Jahr statt: Anschläge im Januar und im November in Paris, die griechische Finanzkrise, die wirtschaftlichen Nachwirkungen der EU-Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Konflikts, im Herbst die Flüchtlingskrise – um nur die großen Ereignisse zu nennen, die uns unmittelbar betrafen. Viele davon bestimmten den Luxemburger EU-Ratsvorsitz nachträglich mit. Der hat zwar politisch nicht mehr dieselbe Bedeutung wie in der Vergangenheit, doch für kleine Länder wie Luxemburg mit kleinem Beamtenstab reicht es, um an die Belastungsgrenze zu gelangen.

lmontebrusco@tageblatt.lu:

Nun, nach der „Présidence“, geht es wieder ans Eingemachte. Nach sechsmonatigem, von einigen Scharmützeln unterbrochenem Burgfrieden kehrt politischer Alltag ein. Die Koalition muss liefern. Politische Grabesstille herrschte zwar auch in den letzten Monaten nicht, aber große Themen wie die seit langem angekündigte Reform der Familienzulagen blieben, obwohl längst ausführlich ausdiskutiert, unerledigt. Gar nicht zu sprechen von der bisher hinter einem undurchdringlichen Nebelschleier verborgenen Steuerreform.

Vor dem Hintergrund der großen internationalen Dossiers muten die eigenen Probleme, trotz aller Härte für Einzelne, doch recht harmlos an. Jammern auf hohem Niveau? Verglichen mit dem Leidensweg etwa der Kriegsflüchtlinge aus Syrien wird man der Behauptung ohne Weiteres zustimmen müssen. Die direkte Konfrontation mit diesen Menschen führt uns vor Augen, dass die Möglichkeit, sich jeden Morgen warm zu duschen, abends nach einem anstrengenden Tag in eine beheizte, komfortable Wohnung zurückzukehren, ein Privileg ist, das wir nicht nur dem eigenen Fleiß zuzuschreiben haben, sondern vielen glücklichen Umständen.

Dennoch sind die Sorgen und Fragen, die sich auch einer vom Schicksal getätschelten Luxemburger Gesellschaft im Zusammenhang mit den aktuellen internationalen Ereignissen stellen, nicht ohne Belang. Peer Steinbrück, glückloser SPD-Kanzlerkandidat und Kavallerie-Offizier, brachte es in einem Beitrag der Wochenzeitung Die Zeit auf den Punkt: „Solange sich aber diejenigen, die praktische Mitmenschlichkeit üben, eher mit den Flüchtlingen solidarisieren, als Verständnis für die Sorgen ihrer Landsleute zu entwickeln, so lange wird die innergesellschaftliche Entfremdung wachsen. Dann nützen auch keine rationalen Argumente mehr, die auf die Chancen der Zuwanderung hinweisen. Dann steht Willkommenskultur gegen Abgrenzung oder sogar Fremdenhass.“

In Frankreich, in Polen, in Ungarn, in den Niederlanden, in Belgien, in Deutschland treibt insbesondere die Haltung der traditionellen Parteien den Rattenfängern am rechten Parteienspektrum die Wähler „en masse“ zu, weil die klassischen Volksvertreter die Nöte und Sorgen der „Landsleute“ nicht mehr wahrnehmen. Dabei bedeutet zuhören und mit verängstigten Bürgern diskutieren – auch mit solchen, die mal verbal ausrutschen – nicht, automatisch fremdenfeindliches Gedankengut zu übernehmen.

Über Ängste muss man reden, um dann mit Argumenten zu überzeugen. Gute Worte allein reichen jedoch nicht. Zumal wenn sie durch entgegenwirkende Taten neutralisiert werden. Wer am unteren Ende der sozialen Skala steht und wegen Neuankömmlingen beispielsweise Benachteiligungen befürchtet, sei es auf dem Arbeits- oder dem Wohnungsmarkt, kann angekündigte Sozialeinschnitte nicht nachvollziehen. Er wird für sachliche Diskussionen unzugänglich, die „innergesellschaftliche Entfremdung“ wächst. Eine derartige Entwicklung gilt es zu vermeiden. Zeit für diese Kleinarbeit werden auch unsere Politiker finden müssen.