Verzerrte Sicht

Verzerrte Sicht
(Alain Rischard/editpress)

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So pompös wie die Pressekonferenzen des französischen Präsidenten im barocken Salon des Élysée-Palastes war der Medienauftritt von Russlands Präsident Wladimir Putin am Donnerstag im Internationalen Handelszentrum in Moskau nicht.

Doch statt einiger hundert Presseleute konnte er die Rekordzahl von 1.390 verbuchen. Miesepeter sprachen denn auch von handverlesenen Teilnehmern. Als ob im Élysée-Palast Dupond et Dupont aus der Provinz mal so zur PK des Staatschefs anreisen könnten. Seinen eigenen Ausdauerrekord vor der Presse konnte Putin hingegen am Donnerstag nicht schlagen. Dreieinhalb Stunden mussten reichen.

Lucien Montebrusco
lmontebrusco@tageblatt.lu

Ob einzelne Fragen der Medienvertreter zuvor mit dem Kreml abgeklärt waren oder nicht, tut eigentlich nichts zur Sache. Wichtiger war, dass etliche richtige, teilweise überraschend kritische Fragen gestellt wurden.
Dass Russlands Staatschef die Veranstaltung zur Verbreitung seiner Politik nutzte, liegt in der Natur der Sache. Welche Partei oder Regierung, auch in Luxemburg, organisiert nicht derlei Veranstaltungen, um die eigene Botschaft unters Volk zu bringen? Putin wiederholte denn auch ausführlich die Moskauer Einschätzung des Abschusses des russischen Bombers durch türkisches Militär an der syrisch-türkischen Grenze. Erneut war
die Rede vom türkischen Dolchstoß in den Rücken.

Man mag Russlands Präsidenten sympathisch finden oder nicht, doch wenn Argumente und logische Schlüsse vorliegen, muss man sie zur Kenntnis nehmen. Tatsächlich sprach von Beginn an nur wenig für die türkische Version der Affäre. Das Flugzeug sollte einfach abgeschossen werden, meinten dazu am Donnerstagabend Militärexperten aus Deutschland und den USA in einem Beitrag des Politmagazins „Panorama“ im Ersten Deutschen Fernsehen. Derlei Grenzverletzung, auch wenn sie beabsichtigt gewesen wäre, hätte niemals zu so einer Reaktion führen dürfen. Der Flug musste unterbrochen werden, weil die Russen Stellungen von Turkomanen in Syrien bombardieren wollten, sagen die einen. Stimmt, doch dabei wird verschwiegen, dass es sich hier auch um Gruppen der türkischen rechtsextremen Grauen Wölfe auf syrischem Territorium handelt. Die Türkei wolle die russischen Angriffe auf die illegalen Erdöltransporte aus Syrien in die Türkei vereiteln, entgegnet Moskau. Dass die Terrorbande IS sich durch massive Erdölexporte aus Syrien in die Türkei finanziert, ist nicht neu. Dass bisher recht wenig dagegen getan wurde, ebenfalls. Warum wohl? Moskaus Erklärungen, der Erdogan-Clan habe seine Hände im Spiel, werden süffisant vom Tisch gewischt.

Was hauptsächlich von Putins Pressekonferenz hängen bleibt? Vielleicht die weltbewegende Info, dass er eine Tochter hat, die an der Moskauer Staatsuni lehrt? Oder dass er den korruptionsverdächtigen Ex-FIFA-Chef Sepp Blatter für den Friedensnobelpreis vorschlug?

Erstaunlich ist die an Fahrlässigkeit grenzende Nonchalance vieler nichtrussischer oder, im alten Sprachgebrauch, westlicher Journalisten im Umgang mit russischen Erklärungen. Weil Putin Sinnbild des Schlechten ist, kann nichts Positives aus dem Kreml kommen. Mit dieser Haltung machen sie sich zu Handlangern jener politischen Kreise, die auf Konfrontation mit Russland aus sind. Diesen Weg geht man auch weiterhin, wie die gestern von der EU beschlossene Verlängerung der Sanktionen gegen Russland zeigt. Dass Russlands Piloten die Terrorbanden in Syrien tatkräftig mitbekämpfen, auch im Interesse derselben EU, gehört wohl zur Kategorie Peanuts.