Keine schnelle Lösung

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Wie Europa die Flüchtlingskrise völlig falsch einschätzt.

Statt alles auf die humanitär-diplomatische Karte zu setzen, findet zurzeit ein der EU-Geschichte nicht würdiger Kuhhandel auf dem Rücken von Kriegsopfern, Flüchtlingen und Hilfsbedürftigen statt. Als wäre dies nicht genug, begnügen sich die Mitgliedstaaten mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und verstecken sich bei der Schließung der Balkanroute hinter plump nationalistischen Entschuldigungen. Dabei ist die Eskalation vor den Toren Europas das Resultat gemeinschaftlich beschlossener – wenn auch komplett missratener – EU-Ratspolitik. Wer pokert, die Flüchtlingskrise könnte durch weitere NATO-Patrouillen in der Ägäis und das Abschotten der europäischen Festung eingedämmt werden, irrt gewaltig.

Die Errichtung von Hotspots stockt und ist unter dem Eindruck des aktuellen Menschenandrangs für Griechenland immer schwerer zu bewältigen. Ob man die Griechen nun mag oder nicht oder ihre Glaubwürdigkeit infrage stellt: Europa lässt Athen erneut eiskalt ins Messer laufen. Die Politheuchelei könnte nicht größer sein. Umso erschreckender wirkt diese Form des Improvisierens, wendet man den Blick auf den Ursprung der Flüchtlingskrise. Während die UNO nächste Woche zum x-ten Mal in Genf versucht, die Friedensgespräche über Syrien zum Laufen zu bringen, bereitet die internationale Koalition den Angriff auf die irakische Hochburg des Islamischen Staats (IS) vor: Der Kampf um Mossul ist der Ausgangspunkt, damit die Schlacht um die syrische IS-Festung Rakka überhaupt erst beginnen kann – und die Diskussion über eine politische Lösung für Syrien seit langem wieder sinnstiftend sein könnte. Besonders optimistische Europäer fabulieren, dass die Flüchtlinge im Falle eines diplomatischen und militärischen Durchbruchs schnell wieder zurückkehren oder gleich zu Hause bleiben könnten. Abgesehen davon, dass unterschiedliche Konfliktparteien mit internationaler Unterstützung ethnische Säuberungen in verschiedenen Regionen durchführen, scheint diese These den IS-Faktor zu ignorieren. Im Gegensatz zu Friedensabkommen wie jenem von Dayton im Rahmen des Bosnien-Kriegs hat der IS den Einsatz ähnlicher Befriedungsinstrumente für Syrien und auch Libyen enorm erschwert. Der Machtanspruch aller kämpfenden Fraktionen ist quasi absolut, mit dem IS lässt sich nicht verhandeln (obschon die Terrormiliz in der Praxis sehr eng mit dem Assad-Regime, der Türkei, den Kurden im Irak und eigentlich mit jedem zusammenarbeitet, der ihr Öl abkauft oder bei dessen Herstellung behilflich ist).

Angesichts der ethnischen, politischen sowie militärischen Komplexität bieten die bevorstehenden Genfer Friedensverhandlungen zu Syrien wenig Spielraum. Bleibt zu hoffen, dass die mehr oder weniger eingehaltene Waffenruhe am Wochenende nicht gebrochen wird, um weitere strategische Gewinne vor den Gesprächen einzufahren. Im Gegensatz zu Bosnien ist die Machtbalance im Falle des syrischen Stellvertreterkriegs mittlerweile ausgeglichener.

Die USA sind schwächer und müssen sich stärker auf Russlands Interessen einstellen (Stichwörter: Tartus und Latakia). Die arabische Welt bleibt unterdessen gespalten. Den großen Gewinner gibt es somit am Ende in Syrien nicht – und eine schnelle Lösung der Flüchtlingskrise ebenso wenig.