Durchaus von Interesse

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Die beim EU-Gipfel diskutierten Themen dürften die EU-Bürger interessieren, wenn am Ende des Tages ein echter europäischer Wahlkampf in Aussicht steht, meint Leitartikler Guy Kemp.

Wenn die 27 EU-Staats- und Regierungschefs am morgigen Freitag zu ihrem informellen Gipfeltreffen in Brüssel zusammenkommen, werden sie sich unter anderem mit Themen befassen, von denen gerne behauptet wird, dass sie die Bürger nicht interessieren. Diese Annahme könnte sich allerdings als Fehleinschätzung von Politikern entpuppen, die am einstigen Auswahlverfahren für den EU-Kommissionspräsidenten nichts ändern wollen.

Die Rede geht vom System des Spitzenkandidaten, mit dem Jean-Claude Juncker 2014 zum EU-Kommissionspräsidenten gekürt werden konnte. Den Chefs aus den EU-Staaten wurde damit die Möglichkeit aus der Hand genommen, hinter verschlossenen Türen einen der, wenn nicht den wichtigsten EU-Posten unter sich auszuhandeln. Ob sie daher nun versuchen werden, die Aufstellung von Spitzenkandidaten zu hintertreiben, wird sich zeigen. Klug wäre das keineswegs, da, so unausgereift das Ganze auch sein mag, mit der Idee des Spitzenkandidaten zumindest versucht wurde, die Europawahlen zu europäisieren, sprich einen europäischen Wahlkampf zu initiieren.

Dass, um diesen einmal eingeschlagenen Weg weiterzuführen, auch transnationale Wahllisten dienlich gewesen wären, steht außer Frage. Im Europäischen Parlament allerdings wurde dieses Ansinnen von den allem Integrationsförderlichen zutiefst abgeneigten Rechtspopulisten und -extremen im Verbund mit den Konservativen der Europäischen Volkspartei (EVP) – der auch die hiesige CSV angehört – abgeschmettert. Und obwohl sich Jean-Claude Juncker ausdrücklich für die Einführung einer EU-weiten Liste ausgesprochen hatte.

Zwar sind die 27 frei, sich über die Ansicht der EU-Parlamentarier hinwegzusetzen. Doch ist auch von den Mitgliedstaaten kaum ein Vorstoß hin zu einer Europäisierung der Europawahlen zu erwarten. Der nationale Reflex ist bei den meisten am Ratstisch wohl weiterhin bestimmend. Zu erwarten ist zudem, dass sich die Begeisterung der Gipfelteilnehmer auch bei einem weiteren Vorschlag des EU-Kommissionspräsidenten in Grenzen halten wird. Demnach will Jean-Claude Juncker sein Amt mit dem des Präsidenten des Europäischen Rates, also dem Vorsitzenden der EU-Staats- und Regierungschefs, fusionieren und somit dafür sorgen, dass es an der EU-Spitze übersichtlicher wird, was angesichts des ohnehin komplizierten Institutionengeflechts den überforderten Bürgern in der EU entgegenkäme.

Es reicht aber nicht, alle fünf Jahre vor den Wahlen zum Europaparlament zu versprechen, „Europa den Bürgern näherzubringen“, und dann die sich bietenden Gelegenheiten, dies in die Tat umzusetzen, verstreichen zu lassen. Einfachere Strukturen in der EU und ein von europäischen Themen getragener Wahlkampf im kommenden Jahr wären Mittel und Wege, der Einhaltung dieses Versprechens näher zu kommen. Insofern könnte es die Bürger durchaus interessieren, was die 27 Chefs bei ihrem morgigen Gipfeltreffen entscheiden.

Doch auch wenn sie versuchen sollten, das System des Spitzenkandidaten zu torpedieren, die EU-Parlamentarier haben bereits klar gemacht, dass sie niemanden zum Kommissionspräsidenten wählen würden, der nicht als Spitzenkandidat angetreten ist. Diese Warnung sollte ernst genommen werden.