Digitale Entgiftung

Digitale Entgiftung
(Alain Rischard/editpress)

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„Abschalten“ sollte auch auf dem Wunschzettel stehen

Es klingelt. „Ja, bin gleich da!“ Es klingelt gleich wieder: „Nein, heute nicht!“ Es pfeift, es spielt Musik, es lenkt uns ab, so oft am Tag, dass wir nicht einmal mehr wissen, wie viel Zeit uns dieses Gerät täglich stiehlt. In der Nacht, beim Aufstehen, beim Kaffeetrinken, auf der Fahrt zur Arbeit, während der Arbeit, in der Mittagspause, beim Nachhausefahren, am Esstisch, beim Lernen und Spielen mit den Kindern, in den Vereinsversammlungen, im Café, beim Treff mit Freunden und Bekannten – das „Unding“ gibt keine Ruhe.

Stets erreichbar sein, zu jeder Tages- und Nachtzeit, im Bett, unter der Dusche, auf der Toilette, im Auto, im Zug, im Bus, im Restaurant, ja sogar im Kino und im Theater, in der Disco, während des Konzerts, im Garten, im Schwimmbad … erreichbar für Gesprächspartner, für SMS, für Facebook, für MMS, für E-Mails, für Twitter, für Skype, für Push-Nachrichten oder Breaking News, für Werbung, für Befehle jeglicher Art. Tu dies, lass das, fahr geradeaus, nach links, nach rechts, geh in dieses Geschäft und nicht zum Nachbarn, kaufe das und nicht jenes …

Unsere Kinder bezeichnet man heute als „Digital Natives“. Das Handy liegt bereits in der Wiege. Später rennen die Eltern mit ihnen zum Arzt, weil die Sprösslinge unter Stress leiden. Sie leiden unter erhöhten Einschlafschwierigkeiten, Kopf- und Bauchschmerzen oder Müdigkeit. Es geht sogar die Rede von schweren Depressionen. Dies sind klassische Burn-out-Symptome, die für Eltern wichtige Warnsignale sein müssen. Die Eltern sprechen von Stress wegen zu viel Lernens in der Schule, wegen der vielen und schweren Hausaufgaben usw., aber niemand gibt zu, dass seine Kids mit dem Mobiltelefon in der Hand einschlafen.

Technologien dringen in alle Bereiche unseres Lebens ein. Alle elf Minuten werden laut Statistiken Arbeitnehmer im Schnitt während ihrer Arbeit abgelenkt. Dabei braucht der Mensch bewiesenermaßen rund 20 Minuten, um in den Konzentrationsmodus zu gelangen. Wir nehmen die Dinge nicht mehr auf, wir reagieren nur noch kurz. Das Interesse, sich länger mit Dingen zu beschäftigen, schwindet von Tag zu Tag. Wir denken nicht mehr lange nach, wir googeln schnell. Die guten im Team gefundenen Ideen sind Schnee von gestern. Miteinander sprechen ist altbacken, dafür nehmen die Sehnenentzündungen in Handgelenken und Fingern rasant zu.

Gewitzte Geschäftsleute haben das Phänomen erkannt und preisen „Digital Detox“ für einen bewussteren Umgang mit dem Smartphone und anderen mit dem Internet verbundenen Geräten an. Rund um die digitale Entgiftung hat sich zum Beispiel in den USA eine florierende Industrie entwickelt. Digital Detox sei die Vermittlung von mehr Lebensqualität. Der Trend hat im vergangenen Jahr auch unser Nachbarland Deutschland erreicht, oft nehmen schon Abiturienten und Studenten an Detox-Camps teil. Häufig seien es jedoch Personalverantwortliche, Geschäftsführende und Medienschaffende, die sich für ein paar Tage eine digitale Auszeit nehmen wollen.

Okay! Vieles geht durch die Digitalisierung schneller und einfacher als früher. Doch das Abschalten sollte man bei alledem nicht vergessen. Auf den Wunschzettel an den Weihnachtsmann gehört also nicht nur das modernste „Telefonino“, sondern auch die gesundheitsfördernden Pausen, die man für eine digitale Auszeit nutzen sollte.