Dammbruch

Dammbruch
"Ein Gleichgewicht zwischen Dürreperiode und Überschwemmung wäre doch schön – und neben den Rotondes könnte jemand anderes den Mut aufbringen, im Sommer das kulturelle Angebot aufzustocken."

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Am Freitag endete das Festival „Congés annulés“ – und der kulturaffine Luxemburger riskiert, sich bis Mitte oder gar Ende September etwas zu langweilen. Denn im Laufe der Sommerferien scheinen alle Kulturakteure verreist zu sein. Es gibt keine einzige Theaterproduktion und auch Musikfestivals sind in Luxemburg eher dünn gesät. Gibt es im Laufe der Kultursaison teilweise Wochen, in denen man sich mindestens dreiteilen müsste, um beispielsweise alle interessanten Theaterstücke besuchen zu können, so bleibt einem speziell in den kommenden drei bis vier Wochen nichts anderes übrig, als sich abends die vernachlässigten Netflix-Serien reinzuziehen. Oder ins Kino zu gehen.

Dort laufen die richtig guten Filme aber mittlerweile auch nur noch wenige Wochen. Der grandiose „Au poste“ des kongenialen Quentin Dupieux, der mit einem der besten amerikanischen Regisseure nicht nur den Vornamen, sondern auch dessen Talent und Humor teilt, wurde nach vier Wochen aus dem städtischen Utopia verbannt. Musste man 20 Jahre auf Terry Gilliams „The Man who killed Don Quixote“ warten, lief der Film im Utopia sage und schreibe vier Wochen. Wie lange „Dogman“ und „Under the Silver Lake“ (beide Wettbewerbsfilme in Cannes) noch in den hiesigen Kinos zu sehen sein werden, bleibt abzuwarten – der Filmfan dürfte aber mittlerweile eine gewisse Nervosität verspüren, wenn es darum geht, die besten Streifen überhaupt im Kino sehen zu können. Ob dies nur ein Trend ist, der den sommerlichen Blockbustern – der neue „Jurassic Park“ läuft seit dem 6. Juni – Vorrang lässt, werden wir nach der Rentrée sehen.

Apropos Rentrée: In den kommenden Monaten, als hätte sich der Durst nach Kultur wieder angestaut, als würde der Damm, hinter dem sich die wartenden Kulturgüter angesammelt hätten, nun unter dem Druck brechen, wird eine Sturzwelle an kulturellen Ereignissen auf uns zukommen, die genauso exzessiv wie die momentane Trockenperiode ist. Ein besonders beeindruckendes Fallbeispiel ist hier die französische „Rentrée littéraire“: Zwischen September und Oktober werden 567 Romane erscheinen. Wer das alles lesen, wer das ordentlich besprechen und fair auszeichnen soll, bleibt ein Rätsel. Die paar Monate, bevor der nächste Veröffentlichungsschwall kommt, reichen auf jeden Fall rein rechnerisch nicht aus, um all diese Werke zu lesen. So stellt man natürlich wiederum innerhalb einer pseudodemokratischen Veröffentlichungspolitik, in der jedem die gleiche Chance gegeben werden soll, eine Hierarchie her: Die großen Namen (hinter denen sich, wie im Falle Nothomb, oft schlechte Autoren verstecken) bekommen den Vorrang des Publikums, die PR-Arbeit und der Presserummel rund um zwei bis drei neue Namen wird wichtiger als die Entdeckungsfreude des Lesers, sprich der Akzent wird auf den Markt, nicht auf die Literatur gelegt. Und so manch aufgeregter Jungautor – dieses Jahr erscheinen mehr Debütromane als sonst – wird enttäuscht sein, dass sein Werk, an dem er vielleicht jahrelang getüftelt hat, kaum gelesen wird. Löblich sind hier die „Editions de Minuit“, die zur Rentrée exakt ein Prosawerk veröffentlichen.

Ein Gleichgewicht zwischen Dürreperiode und Überschwemmung wäre doch schön – und neben den Rotondes könnte jemand anderes den Mut aufbringen, im Sommer das kulturelle Angebot aufzustocken. Dass es in den Theaterhäusern zu heiß ist, stimmt. Dann wären eben Subventionen für Klimaanlagen nicht verkehrt – genauso wie die Idee von Open-Air-Auftritten (à la Shakespeare in the Park) interessant sein könnte. Gleichzeitig könnte man so die prall gefüllte Saison etwas entlasten.