Die Wucht der Fakten

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Eine teure Woche steht den Abgeordneten bevor. Weitere 138 Millionen Euro sollen sie für den Bau der „liaison Micheville“ freigeben, jenes insgesamt 3.300 Meter lange Autobahnstück, das die luxemburgische A4 vom Verteilerkreis Lankelz aus über das Belval-Viertel mit dem französischen Autobahnnetz verbinden soll.

138 Millionen, die sich zu den 76 des initialen Projekts von 2005 und den 115 von 2008 addieren. Auf stolze 330 Millionen. Ob und wann der Anschluss auf französischer Seite wirklich erfolgen wird, steht dabei noch immer in den Sternen.

Léon Marx lmarx@tageblatt.lu

Um viel Geld – 58,1 Millionen – geht es auch bei einem anderen Bauprojekt. Umgerechnet 366 Millionen Euro sollte das Megaprojekt „Nordstraße“ mit seinem nachhaltig negativen Einfluss auf die Landschaft und den Wasserhaushalt des Grünewalds beim Start im Jahr 1997 kosten, am Ende werden es mindestens 653 Millionen sein.

Ein Projekt, das heute wohl kein halbwegs vernünftig denkender Politiker mehr so bauen würde. Aber Anfang der 1990er-Jahre, als es am Reißbrett entstand, wurde das Auto in Luxemburg regelrecht vergöttert. Ideen, dem sich abzeichnenden Verkehrskollaps mit massiven Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Transports zu begegnen, wurden belächelt, ja mit allen Mitteln bekämpft.

Wo für den Bau einer Autobahn ein Fetzen Papier als Rechtfertigung reichte, waren für ein Schienenprojekt kiloweise Studien notwendig. Luxtraffic, BTB. BB, mobilite.lu, mobilité2020 und andere Konzepte der sich die Klinke in die Hand gebenden Transportminister füllen inzwischen ganze Aktenschränke. Im Gegensatz zur Nordstraße, die zumindest zwischen Ettelbrück und Lorentzweiler operationell ist, liegt allerdings noch immer kein einziger Meter neue Schiene. Den wird wohl auch Infrastrukturminister Claude Wiseler nicht mehr legen. Aber:Mit MoDu – „mobilité durable“ – hat er es immerhin geschafft, die Reihe an Studien und Untersuchungen zum Thema um ein weiteres Dokument zu erweitern.

Die vergangene Woche vorgestellte Strategie „stellt keines der bereits bestehenden Papiere infrage“, räumt der Minister selbst ein. Das rund 300-seitige Hochglanzdokument, an dem ein Ingenieurbüro und eine Marketingfirma gutes Geld verdienten, ist eigentlich nicht mehr als dasselbe in Schwarz, was zuvor schon rote und blaue Verkehrsminister präsentiert hatten.

Mit dem Unterschied, dass vieles von dem, was Wiseler heute als „nice to have“ bezeichnet, aber dem Rotstift opfern muss, damals noch finanziell machbar gewesen wäre.

Nun wäre es sicherlich vermessen, zu behaupten, in den letzten 20 bis 25 Jahren sei nichts in die Modernisierung der Eisenbahninfrastruktur investiert worden. Fakt ist aber, dass in all den Jahren kein einziges wirklich neues Projekt in Angriff genommen wurde.

Späte Erkenntnis

Und wenn der CSV-Mann Claude Wiseler heute die Tram als – Zitat – „absolute Notwendigkeit, das einzige Mittel, um den Verkehr in den Griff zu bekommen“ sieht, dann nicht, weil seine Partei die Idee plötzlich gut finden würde, sondern weil sich ihre zwingende Notwendigkeit unter dem Druck der Realitäten nicht mehr länger leugnen lässt.

511.000 Einwohner, 380.000 Arbeitsplätze, 146.000 Pendler, 1,66 Millionen motorisierte Verkehrsbewegungen pro Tag, das sind Fakten, um die sich auch eine CSV nicht mehr herummogeln kann. Das Statec sieht mit seinen Bevölkerungsprognosen von 1995 übrigens ebenfalls ziemlich schlecht aus, aber das nur am Rande.

Die Erkenntnis kommt spät, hoffentlich nicht zu spät. Denn eine gute Verkehrsinfrastruktur gehört heute mehr denn je zu den wichtigsten Standortfaktoren. Gerade in wirtschaftlich schwierigeren Phasen kann es sich kein Arbeitgeber erlauben, seinen Mitarbeitern tagtäglich gutes Geld für in Verkehrsstaus „verlorene“ Zeit zu zahlen.