/ Die lieben Nachbarn
Am 23. August 1927 wurden die beiden italo-amerikanischen Anarchisten Ferdinando Sacco und Bartolomeo Vanzetti auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet, obwohl sie unschuldig waren. Für die Vertreter der Anklage waren Zeugenaussagen, welche die Alibis der beiden bestätigten, wertlos, da diese Zeugen italienische Einwanderer waren, also de facto unglaubwürdig.
In der Nacht zum 24. August 1572 fand die Pariser Bluthochzeit statt, auch noch bekannt unter dem Namen „Bartholomäusnacht“, in der Tausende von Hugenotten auf Befehl Katharinas von Medici ermordet wurden. Kurz danach schwappte die Mordwelle auf ganz Frankreich über. Als einen der Gründe für diese interkonfessionelle Gewalt nennen Historiker die Unfähigkeit Frankreichs, andere Religionen zu integrieren.
Vom 22.-25. August 1992 attackierten Rechtsradikale ein Wohnheim für Asylbewerber in Rostock. Am 24. August wurde es durch Molotow-Cocktails in Brand gesetzt.
Am vorigen Samstag präsentierte das Tageblatt eine CEPS/Instead-Studie zum Thema „Ortsansässige und ihre Nachbarn“, bei der herauskam, dass auch wir noch sehr weit von einer wahren multikulturellen Gesellschaft entfernt sind. Anders sein, das Recht auf Individualität, wird den wenigsten zugestanden. „Maach wéi d’Leit, da geet et der wéi de Leit.“
Andersartige unerwünscht
Diese Studie war eine repräsentative Umfrage unter den Ortsansässigen Luxemburgs. Es ist also nun keineswegs so, dass nur die Luxemburger so denken und die hiesigen Ausländer alle ganz brav sind und dem viel gepriesenen, friedlichen Miteinander frönen. Nein, die Ablehnung von Andersartigen geht quer durch die Bevölkerung und erreicht beängstigende Prozentsätze: 26 Prozent gaben an, nicht neben Zigeunern wohnen zu wollen, 19 Prozent nicht neben Homosexuellen und 14 Prozent nicht neben Juden.
Wir haben diese Kategorien nicht zufällig ausgewählt: Es sind die Menschen, die mit am meisten unter den Nazis litten. Heute scheint Frankreich wieder an diese Tradition anzuknüpfen, indem es Roma nach Osten abschiebt.
Wir wollen nun nicht sagen, dass alle Befragten zu Verbrechen bereit wären, aber man sollte sich einmal Gedanken über die Aussage des Journalisten Ulrich Ben Vetter machen, der damals aus Rostock berichtete: „Ich war enttäuscht über die Reaktion von normalen Mitbürgern, die wirklich zu diesen Ereignissen applaudiert haben. Das ist ein Bild, das man nicht vergessen kann.“ Ein anderer Journalist, Thomas Euting, damals Leiter des ZDF-Landesstudios Sachsen, berichtete: „Die Notausgänge zum Nachbarhaus sind allesamt von den deutschen Nachbarn verrammelt und mit Ketten gesichert. Man will verhindern, dass die lästigen Ausländer etwa rüberkommen könnten.“ So viel zu den lieben Nachbarn, die bei Mordversuchen – bewusst oder unbewusst – Hilfe leisten. Es sei daran erinnert, dass das Strafgesetz auch die indirekte Beihilfe zu einem Verbrechen ahndet.
Eigentlich müssten wir, wollen wir gerecht sein, auch die 50 Prozent anprangern, die nicht neben Rechtsextremisten wohnen möchten. Oder sollte man den anderen 50 Prozent dafür danken, dass sie den Rechten gegenüber Toleranz zeigen?
Machen wir uns nichts vor: Luxemburg ist keine Insel mit paradiesischen Zuständen. Auch hierzulande gibt es rechtsextremes Potenzial, das nur auf einen charismatischen Führer wartet. Hoffen wir nur, dass dieser uns nie erscheint. Die Behauptung jedenfalls, dass solche Sachen wie oben beschrieben doch bei uns, in unserer Zeit nicht geschehen können, zeugt von Naivität.
Claude Molinaro
cmolinaro@tageblatt.lu
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